Villa Burtscheidt in
Dülken
Denkmalbeschreibung:
Lage und Entstehung
Das genaue Baudatum der Villa Tilburger Straße 48 in Dülken ist
unbekannt. Aus den bislang bekannten Archivunterlagen lässt sich die
Bauzeit jedoch auf Mitte der 1880er Jahre eingrenzen. Bauherr war der
Fabrikant Gerhard Burtscheidt, Besitzer einer benachbarten
Maschinenfabrik und Eisengießerei. In den 1930er Jahren wurde das
Wohnhaus zum Bank- und Verwaltungsgebäude umgenutzt.
Die heutige Tilburger Straße bezeichnet die alte Landstraße zwischen Dülken
und Süchteln und hieß daher lange Zeit Süchtelner Straße. Zur
Bauzeit begann sich hier, nördlich vor den Toren des alten Ortskerns,
ein Industriegebiet zu entwickeln, es gab aber noch wenig Bebauung, so
dass sich die Villa in relativ freier Lage befand. Bereits vorhanden war
aber seit den 1860er Jahren die Eisenbahnstrecke, die Villa und Fabrik
von Gerhard Burtscheidt trennte.
Beschreibung
Es handelt sich um einen zweieinhalbgeschossigen Putzbau mit Walmdach,
leicht abgerückt von der vorbeiführenden Straße. Der Baukörper
gliedert sich in zwei Teile, jeweils auf rechteckiger Grundfläche:
einen fünfachsigen mit Mitteleingang und links anschließend, aber um
eine Achse zurückgesetzt, ein dreiachsiger Teil, der ehemals nach vorne
durch eine Veranda geöffnet war.
Das Gebäude ist allseitig durch Rahmungen der rechteckigen Fenster und
Eingänge, Gesimse und Eckbetonungen aufwendig dekoriert. Über dem mit
Kellerfenstern geöffneten Sockel verläuft ein Band aus diamantierten
Quadern. Zusammen mit den Eckquaderungen und dem Kranzgesims der Traufe
ergibt sich so eine Rahmung der einzelnen Wandflächen. Auf dem Fries
der Diamantquader sitzen die einfach gerahmten Erdgeschossöffnungen
auf. Der Mitteleingang des rechten Gebäudeteils ist vorgezogen, wird
von Pilastern eingefasst und bildet gleichzeitig den Unterbau für einen
Austritt im Obergeschoss. Die ehemals offene Veranda des linken, zurückliegenden
Gebäudeteils wird von zwei schlanken Rundstützen mit ionischen
Kapitellen geziert, zwischen die eine niedrige Balusterbrüstung
gespannt ist. Erd- und Obergeschoss werden durch ein doppeltes
Gesimsband getrennt. Im Obergeschoss sind die Fensteröffnungen in der
typischen Weise einer Beletage reich gestaltet, mit kleinen Konsölchen
unter dem Fensterbrett, breiter profilierter Putzrahmung und
Dreieckgiebel-Verdachungen. Über diesem Hauptgeschoss ist ein weiteres
Halbgeschoss (Mezzanin) mit liegenden, seitlich gerundeten und ebenfalls
mit Putzrahmung versehenen Öffnungen angeordnet.
Die seitlichen und rückwärtigen Fassaden sind prinzipiell gleich
dekoriert. Die linke Schmalseite besitzt ein Zwerchhaus mit
Dreieckgiebel über den beiden mittleren der vier Fensterachsen. An die
rechte Schmalseite wurde nachträglich ein eingeschossiger Anbau
angesetzt.
Auf der Rückseite ist im Erdgeschoss ein Vorbau angeordnet, dessen in
der Ansicht linker Teil original ist (erkennbar an der ehemaligen
Eckquaderung). Der Raum zwischen zurückgesetztem Gebäudeflügel und
Vorbau wurde dann nachträglich geschlossen, mitsamt Einbau von neuen
Fensterformaten.
Auf dem First der relativ flachen Dachflächen sitzt über dem vorderen
Gebäudeteil ein Belvedere-Austritt mit Ziergitter zwischen gemauerten
Eckpfeilern.
Während die beiden Anbauten rechts und hinten, die neue Haustür am
ehemaligen Haupteingang sowie die Schließung der Veranda im Äußeren
die einzigen nennenswerten Veränderungen sind, hat das Innere durch die
Umnutzung seit den 1930er Jahren stark gelitten. Raumzuschnitt, Erschließung
und Ausstattung sind weitgehend verändert, die überlieferten Reste
erlauben ansatzweise aber noch Rückschluss auf die ursprüngliche
Disposition. Erhalten ist eine stattliche zweiflüglige Haustür, durch
die man von der ehemaligen Veranda aus seitlich den rechten Gebäudeteil
betritt. Von hier aus erreicht man das alte Haupttreppenhaus (Geländer
und Brüstung erneuert), in dem als hervorragendstes Ausstattungsstück
ein 1916 datiertes Glasgemälde mit Darstellung einer Eisengießerei
erhalten ist. Inwieweit unter den abgehangenen Decken des Erdgeschosses
noch originale Deckengestaltungen verborgen sind, bedarf ggf. näherer
Prüfung, ist aber wahrscheinlich. Fragmente von zeittypischen Bodenbelägen
(Ornamentfliesen, Naturstein) sind noch zu sehen. In diesem Zusammenhang
bemerkenswert sind die großen Schmuckfliesen-Flächen im Keller, bei
denen unklar ist, ob sie original hier angebracht waren (was z.B. im
Zusammenhang mit einer evtl. Küchennutzung des Kellergeschoss denkbar
erscheint) oder nachträglich hier verlegt wurden.
Der Dachstuhl mit dem aufwendigen Belvedere-Unterbau ist weitgehend
original.
Geschichte
Gerhard Burtscheidt war nacheinander Gründer und Inhaber mehrerer
Maschinenfabriken und Eisengießereien. Er stammte - wie Felix Tonnar -
aus Eupen und war, bevor er sich selbständig machte, auch in der
Tonnarschen Fabrik angestellt gewesen. Wann er seine erste Firma gründete,
ist in der Literatur bislang offen geblieben: Doergens nennt Anfang der
1880er Jahre, Brendgens 1876. Bauhistorische Recherchen des Rheinischen
Amtes für Denkmalpflege haben jedoch in der Bauakte des Hauses Lange
Straße 27 ein Baugesuch zu Tage gebracht, mit dem Gerh. Burtscheid
(sic!) zusammen mit Servay Lentz und Joh. Leon. Voss bereits 1871 die
Einrichtung einer Maschinenwerkstätte in einem leeren Hintergebäude,
benachbart der Zwirnerei Königs & Bücklers, beantragten. Da das
Geschäft als wichtiger Zulieferer für die Textilindustrie offenbar
florierte, bauten Burtscheidt und Lentz Anfang der 1880er Jahre an der Süchtelner
Straße eine neue Maschinenfabrik und Eisengießerei "Burtscheidt
& Lentz" - aus dem Jahr 1884 ist ein Einfriedungsplan für die
Anlage erhalten. Etwa zeitgleich mit der neuen Fabrik dürfte auch die
Villa von Burtscheidt entstanden sein: für sie existiert ein
Einfriedungsplan von 1886, außerdem ist sie auf Situationsplänen für
die 1885-89 erbauten Häuser Tilburger Straße 36-44 verzeichnet. Schließlich
ist sie auch auf dem Stadtbauplan von 1894 verzeichnet, ebenso wie die
Fabrik am Anfang des neu entwickelten Industriegebietes an der
Heiligenstraße.
Bereits 1884 trennten sich Burtscheidt und Lentz; bis 1890 führte
Burtscheidt die Fabrik alleine weiter, dann traten Gerhard Ulrici und
Dr. Eduard Jansen als neue Gesellschafter ein, die Firma firmierte nun
als Burtscheidt, Ulrici & Co. In den 1890er Jahren beschäftigte das
Unternehmen bis zu 190 Mitarbeiter und wurde 1897 in eine
Aktiengesellschaft, die Rheinische Webstuhlfabrik AG umgewandelt. Nach
weiteren Betriebs- und Namenswechseln führte seit 1915 (Perdelwitz) die
Maschinenfabrik und Eisengießerei Anton Röper die Tradition des
Standortes bis heute fort.
Burtscheidt selbst hatte darüber hinaus schon 1893 eine zweite
Maschinenfabrik am Kampweg gegründet, die aber bereits 1902 in die
Seidenweberei Tovenrath (später nacheinander Rossié, Beckerath, Kredt)
umgewandelt wurde.
Über Burtscheidts weiteren Lebens- und Berufsweg ist derzeit nichts
bekannt. Sein Wohnhaus ist 1916 im Besitz des Fabrikanten Johann Carl
Hartmann. Dieser hatte 1912 ebenfalls an der Heiligenstraße die Eisenhütte
Hartmann & Friederichs gegründet (1914: Eisen- und Stahlwerk
Hartmann), nachdem er zuvor Direktor der Eisengießerei Carlshütte in
Staffel bei Limburg a.d. Lahn gewesen war. 1918 heißt das Werk nach
seinem neuen Besitzer Siegfried G. Werner Stahlwerk Werner
(Niederrheinische Eisenhütte und Maschinenfabrik); in die 1932
stillgelegten Betriebsgebäude zogen um 1940 die Otto Fuchs Metallwerke
Meinerzhagen ein. Die Entstehung des Glasgemäldes im Treppenhaus fällt
damit in die Zeit Hartmanns.
Das auch als "Villa Hartmann" bekannte Haus wurde 1935 an die
Westdeutsche Bodenkreditanstalt in Köln / Kreis-Bezugs- und
Absatzgenossenschaft Kempen-West, Dülken verkauft und durch den
Architekten Rangette 1934-39 für die neue Nutzung als
landwirtschaftliche Bank bzw. Bürogebäude umgebaut.
Burtscheid war mit seinen beiden Fabriken neben der Appretur von Jordan
Terstappen (1891) der erste, der sich jenseits der Bahnstrecke im neuen
Industriegebiet Heiligenstraße/Feldstraße (später Kampweg)
ansiedelte. Auch seine Villa befindet sich auf dem Stadtbauplan von 1894
noch in relativ freier Lage, da das Stadterweiterungsgebiet zwischen
Ortskern und Bahnlinie erst langsam im Wachsen begriffen war - die
benachbarten Wohnhäuser 36-44 entstanden 1885-89, die schräg gegenüber
liegenden Firmen Weyermann & Söhne und Ferdinand Fuesers entstanden
erst 1897, lediglich die Seidenfabrik E. Thum & Söhne (Ecke Süchtelner
Str. / Friedrichstr.) war schon 1881, also etwa zeitgleich mit
Burtscheidts Unternehmungen entstanden. Dieses Gebiet zwischen Süchtelner
Straße, Viersener Straße, Sternstraße und Bahnlinie zeichnet sich bis
heute durch eine gemischte Bebauung aus einfachen Reihen-Wohnhäusern,
gehobenen Wohnbauten sowie Handwerks- und Industriebetrieben der Gründerzeit
bis 1920er Jahre aus.
Denkmalwert
Gerhard Burtscheidt zählte zu einer jüngeren Generation von
Unternehmern in Dülken, die den älteren Mevissen, Tonnar, Bücklers
oder Thum in den Gründerjahren Ende des 19. Jahrhunderts nachfolgte.
Die Expansion seiner Fabriken aus bescheidenen Anfängen in einem
Hinterhof an der Langen Straße lässt auf raschen Wohlstand schließen,
den er mit seiner Villa auch selbstbewusst zum Ausdruck brachte. Lage,
Dimension und Gestaltung heben sich deutlich von den überwiegend eher
zurückhaltenden, noch klassizistisch geprägten Wohnhäusern der älteren
Familien ab. Nicht nur die aufwendige neubarocke Gestaltung, auch die
allseitig freie, klar von der Straße abgerückte Lage kennzeichnen eine
neue Stufe der Unternehmerwohnung, während z.B. Felix Tonnar an der
Marktstraße noch 20 Jahre zuvor ein typisches, in die Zeile eingebautes
Stadthaus baute. In Größe und Gestalt muss die Villa Burtscheidt, auch
dies zeigt der Vergleich, zu den herausragenden Vertretern des
gehobenen, repräsentativen Wohnungsbaus der Industrialisierungsphase in
Dülken gezählt werden. Sie besitzt dabei durchaus großstädtisches
Format.
Durch die Umbauten seit den 1930er Jahren haben die Überlieferung der
originalen Bausubstanz und damit die Anschaulichkeit der historischen gründerzeitlichen
Unternehmervilla natürlich gelitten. Dies betrifft weniger das Äußere,
wo allenfalls die Schließung der Veranda einen nennenswerten Eingriff
darstellt, ansonsten aber die Gestalt samt Dekoration bis in Details wie
z.B. den (anderswo selten erhaltenen) Belvedere auf dem Dachfirst
erhalten ist. Die Anbauten oder die Verringerung der Fenstergröße
innerhalb der erhaltenen Öffnungen fallen gegenüber der Gesamtwirkung
kaum ins Gewicht und sind zudem reversibel.
Erheblicher sind die Eingriffe im Inneren, wo zwar einige markante
Ausstattungsdetails erhalten bzw. unter jüngeren Schichten zu vermuten
sind (Treppe, Decken, z.T. Böden; herausragend das Treppenhausfenster),
ein schlüssiger historischer Gesamteindruck derzeit aber verbaut
erscheint. Die in den letzten Jahrzehnten wenig repräsentative Nutzung
und die bescheidene Umgebung haben dem Haus zwar zugesetzt, seinen
historischen Charakter aber nicht zerstört.
Dieser architekturgeschichtliche Zeugniswert in Verbindung mit der
ortsgeschichtlichen Dimension des Bauherrn und seiner Unternehmen begründen
daher ein öffentliches Interesse an Erhaltung und Nutzung dieses
wichtigen baulichen Zeugnisses der Gründerzeit in Dülken. Hinzu kommen
stadtentwicklungsgeschichtliche Gründe, stellt das Haus doch einen frühen
und prägenden Bestandteil des gründerzeitlichen
Stadterweiterungsgebietes zwischen Viersener Straße und Heiligenstraße
dar, in dem zeittypische Unternehmervillen, Arbeiterwohnhäuser, Werkstätten
und Industriebetriebe sowie öffentliche Gebäude (Bahnhof, ev. Kirche,
Post etc.) auf engem Raum nebeneinander bestehen.
Die Villa Burtscheidt, Tilburger Straße 48 in Viersen-Dülken ist aus
den oben beschriebenen Gründen bedeutend für Dülken, Stadt Viersen.
An ihrer Erhaltung und Nutzung besteht aus wissenschaftlichen, hier
architekturgeschichtlichen sowie aus stadtentwicklungsgeschichtlichen Gründen
ein öffentliches Interesse. Es handelt sich daher um ein Baudenkmal gemäß
§2 Denkmalschutzgesetz NRW.