St. Irmgardis
Krankenhaus in Süchteln
Denkmalbeschreibung:
Geschichte
(Die folgende Zusammenfassung der Baugeschichte basiert auf der ausführlichen
Darstellung von Arie Nabrings in der Festschrift „125 Jahre St.
Irmgardis-Krankenhaus in Süchteln" (1996), Seite 27-38.)
Die frühesten Nachrichten über einen Arzt in Süchteln stammen aus dem
16. Jahrhundert. Erst seit dem 18. Jahrhundert mehren sich die Quellen
über medizinische Tätigkeiten im Ort, u.a. wird 1759 erstmals ein
Hospital in (Süchteln-) Vorst genannt. Um die Mitte des 19.
Jahrhunderts findet dann wie in zahlreichen anderen gesellschaftlichen
Bereichen auch in der öffentlichen Krankenversorgung ein
Institutionalisierungsprozess statt, untrennbar verbunden mit der
industriellen Revolution und den Fortschritten in der Medizin, dem sich
auch die Gründung des heute noch bestehenden Krankenhauses in Süchteln
verdankt.
Hinsichtlich der Gründungsdaten von Krankenhäusern in der Region
belegt Süchteln „einen mittleren Rang" (Nabrings). Schon 1846
erfolgte eine Stiftung eines Landwirtes für die Errichtung eines Armen-
und Krankenhauses, in den 1850er Jahren intensivieren sich die Bemühungen
der Kirchengemeinde um die Ansiedlung von Ordensschwestern in der Stadt,
die endlich 1860 zur Grundsteinlegung für ein Kloster der Armen
Schwestern des heiligen Franziskus führten (im Ort „Klösterchen"
genannt). Gewählt wurde ein Bauplatz an der nach Vorst und weiter nach
Krefeld führenden Chaussee außerhalb des Ortskerns. Neben ihren
karitativen Aufgaben betrieben die Schwestern hier auch eine höhere Töchterschule,
die zwar 1874 in den Wirren des Kulturkampfes eingestellt werden musste,
jedoch als Vorläuferin des 1908/09 erbauten Irmgardisstiftes gelten
kann.
Bereits 1863 konnte das dem „Klösterchen" benachbarte Grundstück
erworben werden, mit dem Ziel, dort ein von den Franziskanerrinnen geführtes
Krankenhaus zu bauen. Bauantrag und Planlegung datieren in das Jahr
1867, nach Überarbeitung der Pläne durch den Kölner Diözesanbaumeister
Vincenz Statz erfolgte am 19. August 1869 „unter großer öffentlicher
Anteilnahme" die Grundsteinlegung. Im Juli 1871 konnte die
Krankenhauskapelle geweiht werden, am 24. August 1871 öffnete das
Krankenhaus unter dem Namen ‚St. Irmgardis-Hospiz'. Das neue Haus
schloss sich rechtwinklig unmittelbar an das Klösterchen an. Im Zuge
einer Pocken-Epidemie in Süchteln musste 1872 ein - von der Regierung
zunächst noch untersagtes - Isolierhaus, frei stehend hinter dem
Krankenhaus, errichtet werden (es ist dann später in den
Erweiterungsbauten der 1920er Jahre aufgegangen). Die steigende Bevölkerungszahl
machte sodann in den 1890er Jahren eine Erweiterung erforderlich. Ein
eigenes Pflegehaus für Invalide wurde 1897/98 an das Krankenhaus
angebaut, parallel zur Straße, womit an dieser Stelle zusammen mit dem
etwa zeitgleich errichteten Rathaus die letzten freien Parzellen gefüllt
wurden. Kranken- und Invalidenpflege konnten dadurch räumlich getrennt
und auf jeweils größere Flächen verteilt werden. Gestalterisch wurden
die beiden dreigeschossigen Backsteinbauten von 1869/71 und 1897/98
einander angeglichen und ein neuer Haupteingang angelegt.
Nennenswerte Neu- und Umbauten erfolgten rückwärtig um 1930, von den
Architekten Wilhelm Pauen (Düsseldorf) und Peter Salm (Aachen) in
sachlich-traditionalistischer Formensprache als Putzbauten mit
Backsteinfenstergewänden und Walmdach gestaltet. Seit den 1960er Jahren
fanden umfangreiche Erweiterungen und Sanierungen statt; das ursprüngliche
„Klösterchen", ein zweigeschossiger, traufständiger
Backsteinbau zu 10 Fensterachsen, wurde dabei abgerissen. Die Trakte des
20. Jahrhunderts können denkmalpflegerisch außer Betracht bleiben.
Beschreibung
Der erste Krankenhausbau von 1869/71, in die Tiefe des Grundstücks
gebaut, und die rechtwinklig anschließende Erweiterung 1897/98 bilden
heute einen weitgehend einheitlichen Baukörper, der sich in „L"-Form
traufständig - hinter einem schmalen, ehemals eingefriedeten Vorgarten
- entlang der Tönisvorster Straße erstreckt. Seine Hauptansichtsseiten
(Straßenfront, stadtseitiger Giebel) sowie die Rückseite des Bauteils
der 1890er Jahre sind backsteinsichtig, die übrigen Seiten nachträglich
verputzt, wobei insbesondere die Rückseite des Ursprungsbaus mit den
Erweiterungsbauten der 1920er Jahre teilweise verzahnt ist. Die Dachflächen
sind bis auf den stadtseitigen Giebel (rechts) abgewalmt, zwei
abgetreppte Ziergiebel durchbrechen asymmetrisch die mit
Backstein-Zierfriesen (Konsolfries und Deutsches Band) betonte
Trauflinie, und zwar in der äußersten linken Achse sowie über der
mittleren Achse des fünfachsigen Erweiterungsbaus. Auf dem Dach des älteren
Bauteils sitzt ein Dachreiter mit Zeltdach und Schallluken für eine
Glocke.
Die beiden Bauteile wurden bei Errichtung des jüngeren 1897/98 auf
sinnvolle Weise miteinander verzahnt. Die eigentliche Baunaht ist im
Dachbereich ablesbar; in der Wand der Straßenfront jedoch stellt sich
die am Material ablesbare Zäsur anders dar, weil zusammen mit dem
Erweiterungsbau in der rechten Achse des älteren Teils eine neue
Eingangsachse angelegt wurde, deren Backsteinmaterial dem des neuen
Teils entspricht. Auch wurde aus diesem Anlass der Trauffries
einheitlich durchgezogen. Bei genauerem Hinsehen kennzeichnen aber zwei
Lisenen die fünf rechten Achsen als den jüngeren Bau, wobei die rechte
Lisene als Ecklisene in eine Akroterie als Eckbetonung übergeführt
ist.
Tür- und Fensteröffnungen sind mit Stichbogenstürzen in die Wand
eingeschnitten, alte Fenster bzw. ursprüngliche Fensterteilungen sind
erhalten, ebenso die doppelflügelige Eingangstür. Die Fensterbreiten
variieren, je nach Größe bzw. Funktion der ursprünglich dahinter
liegenden Räume. So prägen breite drei- bzw. vierteilige Fenster die
beiden linken Achsen, wo ursprünglich Kapelle und Untersuchungs- bzw.
OP-Räume angeordnet waren. Die Kapelle war zusätzlich durch einen
Erker mit spätgotischen Formen ausgezeichnet, der heute aber, ebenso
wie die Kapelle selbst, nicht mehr vorhanden ist. Im Giebel darüber ist
eine spitzbogige Nische mit Marienstatue angebracht.
Der hintere Teil des rechten, stadtseitigen Giebels ist um eine Achse
vorgezogen, vermutlich beinhaltete er ursprünglich ein Nebentreppenhaus
und wurde um 1914 dann umgebaut. Der Giebel selbst ist abgetreppt,
Blendfelder sind durch farbig abgesetzte Linien zur Belebung der
geschlossenen Backsteinflächen abgesetzt. Im ersten und zweiten
Obergeschoss ist auf originelle Art und Weise eine Art geschlossener
Liegeraum am Ende der jeweiligen Mittelflure angeordnet, dreiseitig
verglast mit kleinteiliger Sprossung. Unter diesem auskragenden Vorbau
wurde nachträglich ein weiterer Eingang mit alter, der Bauzeit
angepasster Tür angebracht.
Die linke, stadtauswärts gewandte Seite des in die Tiefe gebauten Teils
zeigt sich verputzt und stark verändert, zumal hier teilweise das
abgebrochene „Klösterchen" anstieß. Der Trauffries der Straßenfront
ist auch hier durchgezogen. Auf der Gartenseite ist die Rückfront des
Erweiterungsbaus mit Mittelrisalit und Trauffries noch im Wesentlichen
kaum verändert erhalten, sie ist jedoch von geringerer Gestaltqualität
als die Ansichtsseiten.
Das Innere ist den funktionalen Entwicklungen des Krankenhauswesens
entsprechend insbesondere in den Raumnutzungen verändert, u.a. ist auch
die zwei Geschosse hohe Kapelle verloren. Die ursprüngliche Gestalt ist
dennoch im Mittelflurgrundriss mit dem Treppenhaus (Steinstufen mit
gusseisernem Ziergeländer) von 1897/98 sowie den unterschiedlichen, in
ihrer Farbigkeit und Größe der Motivwahl zeitgemäßen
Schmuckfliesenbeläge der Flure im Erdgeschoss ablesbar. Ferner sind
einige Zimmertüren sowie die Dachstühle der beiden Bauteile im
Original erhalten.
Städtebauliche Einordnung (Tönisvorster
Straße)
Das Krankenhaus bildet zusammen mit dem 1898 in Formen der deutschen
Renaissance als Backsteinputzbau errichteten Rathaus einen ortsbildprägenden
Blickfang an der Tönisvorster Straße. Diese führt aus dem Ortskern Süchtelns
nach Osten in Richtung Tönisvorst und weiter nach Krefeld. 1518 ist sie
als „Kuhstraß" in der Süchtelner Kirchenordnung erwähnt. Die
ersten Häuser (bis Hausnummer 9 bzw. 10) liegen noch innerhalb der
ehemaligen Umwallung, ihr weiterer Verlauf wurde ab 1836 zur späteren
Bezirksstraße ausgebaut. Sie setzt heute an die ehemaligen Wallstraßen
als Ortskernumfahrung an.
Die Straße war auch die direkte Verbindung zur östlich an Süchteln
vorbeifließenden Niers mit der 1404 erstmals erwähnten Mühle und zum
geplanten Nordkanal. Nördlich von ihr sollte der Süchtelner Kanalhafen
angelegt werden. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts ist mit vereinzelter,
landwirtschaftlicher oder kleingewerblicher Bebauung zwischen Wallstraßen
und Niers zu rechnen; die ältesten erhaltenen Wohnhäuser der
zweigeschossigen, traufständige Reihe von Hausnummer 42 bis 56 stammen
aus den 1870er Jahren. Auf der gegenüberliegenden Seite befanden sich
eine Ziegelei und ab 1898, etwa an Stelle des geplanten Hafens, die städtische
Gasanstalt.
Städtebauliche Schubkraft entwickelten zum einen die Anlage zweier repräsentativer
öffentlicher Gebäude auf der Südseite der Straße, des Klosters bzw.
Krankenhauses ab 1860/61 sowie des Rathauses 1898/99, und zum anderen ab
1870 die Eisenbahnstrecke auf der Trasse des unvollendeten Nordkanals
mit einem Bahnhof südlich der Straße. Infolgedessen hieß die Tönisvorster
Straße vorübergehend Bahn- oder Bahnhofstraße (ab 1925 Krefelder,
seit 1970 Tönisvorster Straße). Infolge des Bahnhofes entwickelte sich
südlich der Tönisvorster Straße ein Industriegebiet.
1898/99 verlegte die Kommune ihr Rathaus aus der Ortsmitte an die Tönisvorster
Straße, wo es nun zwischen dem wachsenden Industrie- und Wohngebiet des
Bahnhofumfeldes und dem alten Ortskern stand. Seine nach Dülkener
Vorbild gestaltete Neurenaissance-Fassade diente der in den 1920er
Jahren angelegten Ratsallee als Blickpunkt. Die beiden gegenüber von
Rathaus und Krankenhaus liegenden Wohn- und Geschäftshäuser Tönisvorster
Straße 17/19 und 23/25 markieren den Eingang zur nördlich sich
anschließenden „Neustadt". Für ihre Dreigeschossigkeit musste
noch ein baubehördlicher Dispens eingeholt werden.
Außer dem neuen Rathaus betrieb die Stadt 1898/99 noch ein zweites großes
öffentliches Bauvorhaben, die Gasanstalt im nördlichen Eckgrundstück
von Bezirksstraße und Bahnlinie; heute befindet sich an ihrer Stelle
die Johannes-Kepler-Realschule.
Während die Nordseite der Tönisvorster Straße heute eine recht
uneinheitliche Ausfallstraßen-Bebauung zeigt, besitzt die Südseite
durch Rat- und Krankenhaus sowie die zweigeschossigen Traufhäuser mit
Putzfassade der 1870er Jahre (Tönisvorster Straße 42, 44, 46, 48, 56)
noch ein anschauliches historisches Gepräge. In der Kurve zur Holtz-Mühle,
stadtauswärts ein wichtiger Blickpunkt, steht das schlichte spätklassizistische
Wohnhaus Tönisvorster Straße 61, Träger des Rheinischen
Denkmalpreises 1999.
Denkmalwert
Als Krankenhaus mit über 125jährger Tradition am selben Standort und
Zeugnis für die Institutionalisierung der medizinischen Krankenfürsorge
im 19. Jahrhundert ist das Gebäude Tönisvorster Str. 26 bedeutend für
Süchteln, Stadt Viersen. Es handelt es sich um das einzige im
wesentlichen noch anschaulich erhaltene Krankenhausgebäude des 19.
Jahrhunderts im Stadtgebiet von Viersen.
An seiner Erhaltung und Nutzung besteht ein öffentliches Interesse aus
städtebaulichen Gründen. Die Tönisvorster Straße wurde, als sich Süchteln
zum Bahnhof hin ausdehnte, Teil eines typischen
Stadterweiterungsgebietes mit Gemengelage aus öffentlichen Gebäuden,
Wohnhäusern, Geschäften, Gaststätten, kleinen Handwerks- und
Industriebetrieben. Dies ist heute noch in großen Teilen anschaulich
nachvollziehbar. Zusammen mit dem Rathaus bildet das Krankenhausgebäude
eine städtebauliche Dominante aus zwei relativ großen und qualitätvoll
gestalteten Baukörpern, von denen das Krankenhauses hinter einem
Vorgarten leicht zurücktritt, wodurch sich eine auflockernde Staffelung
ergibt. Während das Rathaus seiner Bestimmung gemäß in einem als bürgerlich
geltenden Stil (Neurenaissance) gehalten ist, trägt das Krankenhaus
Zeichen seiner kirchlichen Trägerschaft. Seine Backsteinarchitektur mit
Formzitaten aus Romanik und Gotik war z.B. auch an Pfarrhäusern oder
Klosterbauten dieser Zeitstellung üblich. Erst im Zuge der
Architekturreformdiskussion nach der Jahrhundertwende wurde dieser - außerdem
preiswerte und zweckmäßige - Stil als zu schlicht empfunden, weshalb
z.B. das Irmgardisstift eine aufwändigere Backsteinputzfassade erhielt.
Als stadtbildprägend werden insbesondere die Straßenfront und die zum
Rathaus und zur Stadt gewandte rechte Giebelseite angesehen (Mauer- und
Dachflächen), die östliche (linke) Seite und die Gartenfront stehen
demgegenüber wegen der vorhandenen Veränderungen zurück.
Der architekturgeschichtliche Zeugniswert wird durch die allgemein
typische Baukörpergestaltung des 19. Jahrhunderts geprägt. Sie wird
erlebbar durch die Erschließung aller Räumlichkeiten durch
Mittelflure. Deren verschiedenen Fliesenbeläge mit großflächigen
Motiven prägen nachhaltig diesen Grundriss. Erst später im 20.
Jahrhundert wird das Krankenhauswesen durch Reformgedanken auch in
seiner baulichen Ausprägung durch einhüftige Anlagen, die für eine
bessere Durchlüftung und Belichtung sorgen, abgelöst.