Denkmale in der Stadt Viersen

Lfd. - Nr. 476

 

Standort:

Tönisvorster Straße 26 - 28, D 41749 Viersen - Süchteln

GPS:

5117' 11,0" N   06o 22' 31,4" O

Zuständigkeit:

Stadt Viersen

Baujahr:

1871 / 1897 - 98

Tag der Eintragung als Denkmal

17. Dezember 2007

Quellenhinweis:

Beschreibung der Denkmalbehörde

 

 

 

 

St. Irmgardis Krankenhaus in Süchteln

Denkmalbeschreibung:

Geschichte
(Die folgende Zusammenfassung der Baugeschichte basiert auf der ausführlichen Darstellung von Arie Nabrings in der Festschrift „125 Jahre St. Irmgardis-Krankenhaus in Süchteln" (1996), Seite 27-38.)
Die frühesten Nachrichten über einen Arzt in Süchteln stammen aus dem 16. Jahrhundert. Erst seit dem 18. Jahrhundert mehren sich die Quellen über medizinische Tätigkeiten im Ort, u.a. wird 1759 erstmals ein Hospital in (Süchteln-) Vorst genannt. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts findet dann wie in zahlreichen anderen gesellschaftlichen Bereichen auch in der öffentlichen Krankenversorgung ein Institutionalisierungsprozess statt, untrennbar verbunden mit der industriellen Revolution und den Fortschritten in der Medizin, dem sich auch die Gründung des heute noch bestehenden Krankenhauses in Süchteln verdankt.
Hinsichtlich der Gründungsdaten von Krankenhäusern in der Region belegt Süchteln „einen mittleren Rang" (Nabrings). Schon 1846 erfolgte eine Stiftung eines Landwirtes für die Errichtung eines Armen- und Krankenhauses, in den 1850er Jahren intensivieren sich die Bemühungen der Kirchengemeinde um die Ansiedlung von Ordensschwestern in der Stadt, die endlich 1860 zur Grundsteinlegung für ein Kloster der Armen Schwestern des heiligen Franziskus führten (im Ort „Klösterchen" genannt). Gewählt wurde ein Bauplatz an der nach Vorst und weiter nach Krefeld führenden Chaussee außerhalb des Ortskerns. Neben ihren karitativen Aufgaben betrieben die Schwestern hier auch eine höhere Töchterschule, die zwar 1874 in den Wirren des Kulturkampfes eingestellt werden musste, jedoch als Vorläuferin des 1908/09 erbauten Irmgardisstiftes gelten kann.
Bereits 1863 konnte das dem „Klösterchen" benachbarte Grundstück erworben werden, mit dem Ziel, dort ein von den Franziskanerrinnen geführtes Krankenhaus zu bauen. Bauantrag und Planlegung datieren in das Jahr 1867, nach Überarbeitung der Pläne durch den Kölner Diözesanbaumeister Vincenz Statz erfolgte am 19. August 1869 „unter großer öffentlicher Anteilnahme" die Grundsteinlegung. Im Juli 1871 konnte die Krankenhauskapelle geweiht werden, am 24. August 1871 öffnete das Krankenhaus unter dem Namen ‚St. Irmgardis-Hospiz'. Das neue Haus schloss sich rechtwinklig unmittelbar an das Klösterchen an. Im Zuge einer Pocken-Epidemie in Süchteln musste 1872 ein - von der Regierung zunächst noch untersagtes - Isolierhaus, frei stehend hinter dem Krankenhaus, errichtet werden (es ist dann später in den Erweiterungsbauten der 1920er Jahre aufgegangen). Die steigende Bevölkerungszahl machte sodann in den 1890er Jahren eine Erweiterung erforderlich. Ein eigenes Pflegehaus für Invalide wurde 1897/98 an das Krankenhaus angebaut, parallel zur Straße, womit an dieser Stelle zusammen mit dem etwa zeitgleich errichteten Rathaus die letzten freien Parzellen gefüllt wurden. Kranken- und Invalidenpflege konnten dadurch räumlich getrennt und auf jeweils größere Flächen verteilt werden. Gestalterisch wurden die beiden dreigeschossigen Backsteinbauten von 1869/71 und 1897/98 einander angeglichen und ein neuer Haupteingang angelegt.
Nennenswerte Neu- und Umbauten erfolgten rückwärtig um 1930, von den Architekten Wilhelm Pauen (Düsseldorf) und Peter Salm (Aachen) in sachlich-traditionalistischer Formensprache als Putzbauten mit Backsteinfenstergewänden und Walmdach gestaltet. Seit den 1960er Jahren fanden umfangreiche Erweiterungen und Sanierungen statt; das ursprüngliche „Klösterchen", ein zweigeschossiger, traufständiger Backsteinbau zu 10 Fensterachsen, wurde dabei abgerissen. Die Trakte des 20. Jahrhunderts können denkmalpflegerisch außer Betracht bleiben.

Beschreibung
Der erste Krankenhausbau von 1869/71, in die Tiefe des Grundstücks gebaut, und die rechtwinklig anschließende Erweiterung 1897/98 bilden heute einen weitgehend einheitlichen Baukörper, der sich in „L"-Form traufständig - hinter einem schmalen, ehemals eingefriedeten Vorgarten - entlang der Tönisvorster Straße erstreckt. Seine Hauptansichtsseiten (Straßenfront, stadtseitiger Giebel) sowie die Rückseite des Bauteils der 1890er Jahre sind backsteinsichtig, die übrigen Seiten nachträglich verputzt, wobei insbesondere die Rückseite des Ursprungsbaus mit den Erweiterungsbauten der 1920er Jahre teilweise verzahnt ist. Die Dachflächen sind bis auf den stadtseitigen Giebel (rechts) abgewalmt, zwei abgetreppte Ziergiebel durchbrechen asymmetrisch die mit Backstein-Zierfriesen (Konsolfries und Deutsches Band) betonte Trauflinie, und zwar in der äußersten linken Achse sowie über der mittleren Achse des fünfachsigen Erweiterungsbaus. Auf dem Dach des älteren Bauteils sitzt ein Dachreiter mit Zeltdach und Schallluken für eine Glocke.
Die beiden Bauteile wurden bei Errichtung des jüngeren 1897/98 auf sinnvolle Weise miteinander verzahnt. Die eigentliche Baunaht ist im Dachbereich ablesbar; in der Wand der Straßenfront jedoch stellt sich die am Material ablesbare Zäsur anders dar, weil zusammen mit dem Erweiterungsbau in der rechten Achse des älteren Teils eine neue Eingangsachse angelegt wurde, deren Backsteinmaterial dem des neuen Teils entspricht. Auch wurde aus diesem Anlass der Trauffries einheitlich durchgezogen. Bei genauerem Hinsehen kennzeichnen aber zwei Lisenen die fünf rechten Achsen als den jüngeren Bau, wobei die rechte Lisene als Ecklisene in eine Akroterie als Eckbetonung übergeführt ist.
Tür- und Fensteröffnungen sind mit Stichbogenstürzen in die Wand eingeschnitten, alte Fenster bzw. ursprüngliche Fensterteilungen sind erhalten, ebenso die doppelflügelige Eingangstür. Die Fensterbreiten variieren, je nach Größe bzw. Funktion der ursprünglich dahinter liegenden Räume. So prägen breite drei- bzw. vierteilige Fenster die beiden linken Achsen, wo ursprünglich Kapelle und Untersuchungs- bzw. OP-Räume angeordnet waren. Die Kapelle war zusätzlich durch einen Erker mit spätgotischen Formen ausgezeichnet, der heute aber, ebenso wie die Kapelle selbst, nicht mehr vorhanden ist. Im Giebel darüber ist eine spitzbogige Nische mit Marienstatue angebracht.
Der hintere Teil des rechten, stadtseitigen Giebels ist um eine Achse vorgezogen, vermutlich beinhaltete er ursprünglich ein Nebentreppenhaus und wurde um 1914 dann umgebaut. Der Giebel selbst ist abgetreppt, Blendfelder sind durch farbig abgesetzte Linien zur Belebung der geschlossenen Backsteinflächen abgesetzt. Im ersten und zweiten Obergeschoss ist auf originelle Art und Weise eine Art geschlossener Liegeraum am Ende der jeweiligen Mittelflure angeordnet, dreiseitig verglast mit kleinteiliger Sprossung. Unter diesem auskragenden Vorbau wurde nachträglich ein weiterer Eingang mit alter, der Bauzeit angepasster Tür angebracht.
Die linke, stadtauswärts gewandte Seite des in die Tiefe gebauten Teils zeigt sich verputzt und stark verändert, zumal hier teilweise das abgebrochene „Klösterchen" anstieß. Der Trauffries der Straßenfront ist auch hier durchgezogen. Auf der Gartenseite ist die Rückfront des Erweiterungsbaus mit Mittelrisalit und Trauffries noch im Wesentlichen kaum verändert erhalten, sie ist jedoch von geringerer Gestaltqualität als die Ansichtsseiten.
Das Innere ist den funktionalen Entwicklungen des Krankenhauswesens entsprechend insbesondere in den Raumnutzungen verändert, u.a. ist auch die zwei Geschosse hohe Kapelle verloren. Die ursprüngliche Gestalt ist dennoch im Mittelflurgrundriss mit dem Treppenhaus (Steinstufen mit gusseisernem Ziergeländer) von 1897/98 sowie den unterschiedlichen, in ihrer Farbigkeit und Größe der Motivwahl zeitgemäßen Schmuckfliesenbeläge der Flure im Erdgeschoss ablesbar. Ferner sind einige Zimmertüren sowie die Dachstühle der beiden Bauteile im Original erhalten.

Städtebauliche Einordnung (Tönisvorster Straße)
Das Krankenhaus bildet zusammen mit dem 1898 in Formen der deutschen Renaissance als Backsteinputzbau errichteten Rathaus einen ortsbildprägenden Blickfang an der Tönisvorster Straße. Diese führt aus dem Ortskern Süchtelns nach Osten in Richtung Tönisvorst und weiter nach Krefeld. 1518 ist sie als „Kuhstraß" in der Süchtelner Kirchenordnung erwähnt. Die ersten Häuser (bis Hausnummer 9 bzw. 10) liegen noch innerhalb der ehemaligen Umwallung, ihr weiterer Verlauf wurde ab 1836 zur späteren Bezirksstraße ausgebaut. Sie setzt heute an die ehemaligen Wallstraßen als Ortskernumfahrung an.
Die Straße war auch die direkte Verbindung zur östlich an Süchteln vorbeifließenden Niers mit der 1404 erstmals erwähnten Mühle und zum geplanten Nordkanal. Nördlich von ihr sollte der Süchtelner Kanalhafen angelegt werden. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts ist mit vereinzelter, landwirtschaftlicher oder kleingewerblicher Bebauung zwischen Wallstraßen und Niers zu rechnen; die ältesten erhaltenen Wohnhäuser der zweigeschossigen, traufständige Reihe von Hausnummer 42 bis 56 stammen aus den 1870er Jahren. Auf der gegenüberliegenden Seite befanden sich eine Ziegelei und ab 1898, etwa an Stelle des geplanten Hafens, die städtische Gasanstalt.
Städtebauliche Schubkraft entwickelten zum einen die Anlage zweier repräsentativer öffentlicher Gebäude auf der Südseite der Straße, des Klosters bzw. Krankenhauses ab 1860/61 sowie des Rathauses 1898/99, und zum anderen ab 1870 die Eisenbahnstrecke auf der Trasse des unvollendeten Nordkanals mit einem Bahnhof südlich der Straße. Infolgedessen hieß die Tönisvorster Straße vorübergehend Bahn- oder Bahnhofstraße (ab 1925 Krefelder, seit 1970 Tönisvorster Straße). Infolge des Bahnhofes entwickelte sich südlich der Tönisvorster Straße ein Industriegebiet.
1898/99 verlegte die Kommune ihr Rathaus aus der Ortsmitte an die Tönisvorster Straße, wo es nun zwischen dem wachsenden Industrie- und Wohngebiet des Bahnhofumfeldes und dem alten Ortskern stand. Seine nach Dülkener Vorbild gestaltete Neurenaissance-Fassade diente der in den 1920er Jahren angelegten Ratsallee als Blickpunkt. Die beiden gegenüber von Rathaus und Krankenhaus liegenden Wohn- und Geschäftshäuser Tönisvorster Straße 17/19 und 23/25 markieren den Eingang zur nördlich sich anschließenden „Neustadt". Für ihre Dreigeschossigkeit musste noch ein baubehördlicher Dispens eingeholt werden.
Außer dem neuen Rathaus betrieb die Stadt 1898/99 noch ein zweites großes öffentliches Bauvorhaben, die Gasanstalt im nördlichen Eckgrundstück von Bezirksstraße und Bahnlinie; heute befindet sich an ihrer Stelle die Johannes-Kepler-Realschule.
Während die Nordseite der Tönisvorster Straße heute eine recht uneinheitliche Ausfallstraßen-Bebauung zeigt, besitzt die Südseite durch Rat- und Krankenhaus sowie die zweigeschossigen Traufhäuser mit Putzfassade der 1870er Jahre (Tönisvorster Straße 42, 44, 46, 48, 56) noch ein anschauliches historisches Gepräge. In der Kurve zur Holtz-Mühle, stadtauswärts ein wichtiger Blickpunkt, steht das schlichte spätklassizistische Wohnhaus Tönisvorster Straße 61, Träger des Rheinischen Denkmalpreises 1999.

Denkmalwert
Als Krankenhaus mit über 125jährger Tradition am selben Standort und Zeugnis für die Institutionalisierung der medizinischen Krankenfürsorge im 19. Jahrhundert ist das Gebäude Tönisvorster Str. 26 bedeutend für Süchteln, Stadt Viersen. Es handelt es sich um das einzige im wesentlichen noch anschaulich erhaltene Krankenhausgebäude des 19. Jahrhunderts im Stadtgebiet von Viersen.
An seiner Erhaltung und Nutzung besteht ein öffentliches Interesse aus städtebaulichen Gründen. Die Tönisvorster Straße wurde, als sich Süchteln zum Bahnhof hin ausdehnte, Teil eines typischen Stadterweiterungsgebietes mit Gemengelage aus öffentlichen Gebäuden, Wohnhäusern, Geschäften, Gaststätten, kleinen Handwerks- und Industriebetrieben. Dies ist heute noch in großen Teilen anschaulich nachvollziehbar. Zusammen mit dem Rathaus bildet das Krankenhausgebäude eine städtebauliche Dominante aus zwei relativ großen und qualitätvoll gestalteten Baukörpern, von denen das Krankenhauses hinter einem Vorgarten leicht zurücktritt, wodurch sich eine auflockernde Staffelung ergibt. Während das Rathaus seiner Bestimmung gemäß in einem als bürgerlich geltenden Stil (Neurenaissance) gehalten ist, trägt das Krankenhaus Zeichen seiner kirchlichen Trägerschaft. Seine Backsteinarchitektur mit Formzitaten aus Romanik und Gotik war z.B. auch an Pfarrhäusern oder Klosterbauten dieser Zeitstellung üblich. Erst im Zuge der Architekturreformdiskussion nach der Jahrhundertwende wurde dieser - außerdem preiswerte und zweckmäßige - Stil als zu schlicht empfunden, weshalb z.B. das Irmgardisstift eine aufwändigere Backsteinputzfassade erhielt. Als stadtbildprägend werden insbesondere die Straßenfront und die zum Rathaus und zur Stadt gewandte rechte Giebelseite angesehen (Mauer- und Dachflächen), die östliche (linke) Seite und die Gartenfront stehen demgegenüber wegen der vorhandenen Veränderungen zurück.
Der architekturgeschichtliche Zeugniswert wird durch die allgemein typische Baukörpergestaltung des 19. Jahrhunderts geprägt. Sie wird erlebbar durch die Erschließung aller Räumlichkeiten durch Mittelflure. Deren verschiedenen Fliesenbeläge mit großflächigen Motiven prägen nachhaltig diesen Grundriss. Erst später im 20. Jahrhundert wird das Krankenhauswesen durch Reformgedanken auch in seiner baulichen Ausprägung durch einhüftige Anlagen, die für eine bessere Durchlüftung und Belichtung sorgen, abgelöst.