Denkmale in der Stadt Viersen

Lfd. - Nr. 450

 

Standort:

Horionstraße 2,  D 41747 Viersen - Süchteln

GPS:

5117' 28,4" N   06o 20' 59,4" O

Zuständigkeit:

Landschaftsverband Rheinland

Baujahr:

1927

Tag der Eintragung als Denkmal

23. März 2004

Quellenhinweis:

Beschreibung der Denkmalbehörde

 

 

 

 

Kirche der Orthopädischen Kinderheilanstalt in Süchteln

 

Denkmalbeschreibung:

Am Rande der 1906 eingeweihten Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Johannistal in Süchteln wurde 1921 zusätzlich eine "Provinzial-Krüppelanstalt" eröffnet. Ihre Einrichtung ging auf ein preußisches Gesetz vom 6. Mai 1920 zurück, welches die öffentliche Krüppelvorsorge, notwendig geworden insbesondere durch die vermehrten Mangelerscheinungen gerade bei Kindern nach dem Ersten Weltkrieg, den Provinzialverwaltungen übertrug. Nachdem man zunächst bestehende Einrichtungen umgenutzt hatte, beschloss der Provinziallandtag 1921, als erste preußische Provinz hierfür eine eigene Anstalt zu erbauen. Die Standortwahl fiel auf Süchteln, wo durch Umverteilungen und Schließung der Abteilung für epileptische Kinder fünf Gebäude der Heil- und Pflegeanstalt am westlich gelegenen Waldhang übernommen werden konnten. Erste bauliche Erweiterungen u.a. für offene Liegehallen folgten bereits 1922/23.

Die anhaltende Nachfrage nach Anstaltsplätzen machte jedoch weitere Vergrößerungen notwendig, die der Provinziallandtag 1925 genehmigte und als "Tat für die Volkswohlfahrt" und "würdige Weihegabe" mit der Jahrtausendfeier der Rheinprovinz 1925 verband. Zwei zusätzliche Krankenhäuser verdoppelten die Bettenzahl auf ca. 380-400. Infrastruktureinrichtungen wie Koch- und Waschküche, Ausbau der Turnhalle zu einem Festsaal, Verwaltungsflügelanbau, Erweiterung der Schwestern-Klausur und neue Wohnungen für Direktor, einen Arzt, Lehrer und Anstaltsbeamte markierten die bewusste Abkehr vom "Allernotwendigsten". Ausdruck dieser Absicht, wodurch die Anstalt zu einer überregional beachteten Mustereinrichtung wurde, war nicht zuletzt der Neubau einer großzügigen katholischen Anstaltskirche mit integriertem evangelischen Betsaal. Für Betreuung und Pflege der Kinder waren bereits 1921 Schwestern der Genossenschaft von der christlichen Schule der Barmherzigkeit nach Süchteln geholt worden.

Die Erweiterungsbauten wurden am 10. Juni 1927 feierlich eingeweiht, im Beisein u.a. des preußischen Wohlfahrtsministers Hirtsiefer und des Vorsitzenden des Provinzialausschusses, Konrad Adenauer. Die Klinik wurde im Laufe ihrer Geschichte mehrfach umbenannt und auch funktional neu ausgerichtet. Erweiterungs- und Umbauten innerhalb der im Zweiten Weltkrieg weitgehend verschonten Anlage gingen damit einher. Die eigentlichen Klinikgebäude besitzen daher keinen Denkmalwert mehr. Einzig die Kirche hat eine homogene, äußerlich und mit Einschränkungen auch im Inneren noch ursprüngliche Gestalt von anschaulicher historischer Zeugniskraft bewahrt.

Beschreibung
Die dreischiffige Backsteinhallenkirche zu vier Jochen mit 3/8-Chorschluss im Norden und querschiffartigem Eingangsbau im Süden ist in einen katholischen Teil im Hauptschiff und einen erheblich kleineren evangelischen Teil im Eingangsbau aufgeteilt, der in den zeitgenössischen Beschreibungen dementsprechend meist als "Betsaal" bezeichnet wird. Er ist gegenüber der katholischen Kirche um 90° gedreht und ragt mit seinem Kopf und mit 5/8-Chorschluss über die Seitenflucht des Hauptbaukörpers hinaus. Ein zweigeschossiger Torbau mit offener Durchfahrt verbindet die Kirche mit den Klinikgebäuden; in seinem Obergeschoss ist ein innerer Verbindungsgang angeordnet; über dem evangelischen Betsaal sah der Originalgrundriss einen Schwestern-Schlafsaal vor.

Die Dächer sind ziegelgedeckt, wobei diejenigen der Chorschlüsse durch kräftige Grate gekennzeichnet sind. Ein kleiner offener Dachreiter markiert den Schnittpunkt von Haupt- und Querschiff. Das Hauptschiff im Norden oberhalb des Chores sowie der etwas niedrigere Eingangsquerbau enden jeweils in großen Giebeln, die als Wandscheiben leicht über die Dachflächen erhöht sind und an den Ecken von Akroterien-Aufbauten akzentuiert werden. In den Giebelflächen der Chorenden flankieren Rundfenster die Apsiden, in den Giebelspitzen sind Kreuze im Mauerwerk ausgebildet. Das Hauptschiff ist durch pro Seite je vier große Fenster zwischen getreppten Strebepfeilern geöffnet. Die Stürze sind als gedrückte Spitzbögen ausgeführt, während die Apsisfenster leicht angespitzte Rundbögen aufweisen. Darüber begleiten Klötzchenfriese die Traufkante. Am Eingangsbau sowie an der kleinen Sakristei im Zwickel zwischen Apsis und Hauptschiff finden sich ferner hochrechteckige Doppelfenster.

Der Haupteingang der Kirche befindet sich unterhalb des Torbaus über Stufen erhöht, in sein Gewände sind (nachträglich) Heiligenfiguren eingestellt. Ein zweiter Eingang, ein dreieckübergiebeltes Portal mit breiter zweiflügliger Tür, führt von der Seite aus über eine Rampe in den Vorraum, wo auch die originale Treppe erhalten ist. Hier und folgerichtig auch im Inneren kommt die spezielle Funktion der Kirche zum Ausdruck: "Die Anordnung zweier Seitenschiffe in dem ersteren [kath. Teil] soll vornehmlich dem Zwecke dienen, für diejenigen Kinder Platz zu bieten, welche im Rollstuhl zur Kirche gefahren werden müssen; dementsprechend sind in ihnen keine Sitzbänke aufgestellt, auch ist eine Einfahrtsrampe zu dem Vorraum der beiden Kapellen angeordnet" (Landesoberbaurat Baltzer, 1927, S. 56)

Das Innere wurde wohl in den 1950er/1960er Jahren teilweise verändert, das Gesamtbild dabei aber durchaus angemessen weiterentwickelt. Das Mittelschiff wird von einer eingezogenen Flachtonne überwölbt, die schmalen Seitenschiffe sind in Spitzbögen geöffnet. Über dem Eingang ist eine Orgelempore auf Unterzugbalken quer durch den Raum gespannt, sie ersetzt die ursprüngliche, dreiseitig umgreifende Empore für die Schwestern. Der Natursteinplatten-Boden im Schiff ist augenscheinlich original, derjenige des Chores wohl bei einer jüngeren Altarraumumgestaltung erneuert.

In dem bis auf eine Kanzelverkleidung der 50er Jahre eher schlichten Raum setzen moderne Farbfenster des Malers Ernst Otto ("E. O.") Köpke einen starken Akzent. Die kontrastreichen, kräftig farbigen Gemälde dominieren noch weit mehr im kleinen Saal der ehemaligen evangelischen Kirche. Köpke, der zu den bedeutenden Glasmalern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu zählen ist, schuf diese Werke zwischen 1953 und 1961. Seine Arbeiten sind in vielen Kirchen und öffentlichen Gebäuden im Rheinland, aber auch darüber hinaus in Westfalen und Berlin zu finden. Für den Landschaftsverband Rheinland schuf Köpke zahlreiche weitere Fenster u.a. in den Kliniken und Jugendheimen in Bedburg-Hau, Bonn, Düren, Euskirchen und Langenfeld. Nicht zuletzt in diesem Zusammenhang ist die intensive Auseinandersetzung Köpkes gerade mit der heilungsunterstützenden Wirkung von Malerei auf Kranke zu sehen. Auch in der benachbarten Kirche der Landesklinik Süchteln wurden Fenster von ihm eingebaut.

Bewertung
Die Gestaltung der Orthopädie-Erweiterungsbauten charakterisierte der verantwortliche Leiter der Hochbauabteilung des Provinzialverbandes anlässlich der Einweihung 1927: "Der Ziegelrohbau, der für die Außengestaltung der neuen Gebäude mit Rücksicht auf die architektonische Ausbildung der alten Bauanlage und die übliche Bauart des Niederrheins gewählt werden musste, ist zwar in der allgemeinen Formgebung etwas neuzeitlicher gehalten, vermeidet aber all zu moderne Formen und lässt daher die Neubauten zu einem einheitlichen Gesamtbild mit den älteren Häusern zusammenklingen" (Baltzer, S. 57). In der Tat vereint die Kirche romanisierende, den Bautypus "Kirche" kennzeichnende Grundformen mit sparsam eingesetzten Formdetails der Backsteinmoderne, z.B. den gespitzten Fenstern oder dem Nebenportal.

In dieser Gestalt ist die Kirche der Rheinischen Klinik für Orthopädie substanziell anschaulich erhalten, was sie zu einem wertvollen Zeugnis der im wesentlichen traditionalistischen Richtung im Kirchenbau der 1920er Jahre macht. Als einziger Bauteil überliefert sie noch weitestgehend unversehrt die ursprüngliche Baugestalt der Orthopädie, die den Zeitgenossen immerhin als "Musteranstalt" dieser Bauaufgabe galt. Noch die bemerkenswerten Farbfenster Köpkes der 1950er/60er Jahre zeugen vom fortwirkenden Anspruchsniveau des Bauherren. Schließlich steht die stadtentwicklungsgeschichtliche und wirtschaftliche Bedeutung der Ansiedlung von Heilanstalt und Orthopädie für Süchteln seit annähernd 100 Jahren außer Frage.

Die Kirche der Rheinischen Klinik für Orthopädie in Süchteln ist daher bedeutend für Viersen. An ihrer Erhaltung und Nutzung besteht aus den dargelegten wissenschaftlichen, insbesondere architekturgeschichtlichen Gründen ein öffentliches Interesse. Hinzu kommen künstlerische Gründe in Bezug auf die Farbfenster von E.O. Köpke. Es handelt sich folglich gemäß § 2 (1) Denkmalschutzgesetz um ein Baudenkmal.

Die zweigeschossige Durchfahrt mit Verbindungsgang im Obergeschoss ist Teil des Denkmals.