Denkmale in der Stadt Viersen |
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Lfd. - Nr. 408 |
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Standort: Hindenburgstraße 128, D 41749 Viersen - Süchteln GPS: 51o 17' 00,1" N 06o 21' 32,7" O Zuständigkeit: Stadt Viersen Baujahr: 1913 Tag der Eintragung als Denkmal 31. Mai 2001 Quellenhinweis: Beschreibung der Denkmalbehörde
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Kaiser - Wilhelm - Schule in Süchteln Denkmalbeschreibung: Geschichte Rektoratsschulen, manchmal auch höhere Stadtschulen genannt, waren vor allem in West- und Süddeutschland verbreitete "mittlere" Schulen, die "ihre Schüler für den Übertritt in eine benachbarte höhere Lehranstalt vorbereiten. Sie wollen die Kinder möglichst lange der Pflege und Erziehung des Elternhauses erhalten und reibungslos den Übergang zur höheren Schule erwirken. (...) Das erworbene Zeugnis berechtigt zum Eintritt in die höhere Schule" (Brockhaus 1933). Den Beschluss für einen Neubau fassen die Stadtverordneten am 13.06.1912. Der außerhalb der Kernstadt gelegene und daher zunächst umstrittene Bauplatz ("fern ab vom Getriebe der Stadt, fern ab und gewissermaßen erhaben über den Lärm des Alltagslebens"; Rektor Laquer bei der Einweihung 1913) wird der Stadt von dem Unternehmer Wilhelm Ling geschenkt, der zusätzlich auch 10.000 Mark für einen Turnhallenbau stiftet; die Baukosten betragen einschließlich des später noch zusätzlich projektierten Türmchens 84.000 Mark. In Erinnerung an das 25jährige Regierungsjubiläum Kaiser Wilhelms II. im Einweihungsjahr 1913 erhält die Schule mit dem neuen Gebäude den Namen "Kaiser-Wilhelm-Schule"; in der Grünanlage davor wird eine "Kaisereiche" gepflanzt. Im Einweihungsjahr 1913 hat die Schule 81 Schüler, darunter 29 Auswärtige, woraus Stadt und Schule die Hoffnung ableiten, eine überörtliche Bedeutung etablieren zu können. Schon bald jedoch gerät die Schule in Schwierigkeiten; sinkende Schülerzahlen gefährden die Finanzierung und den Betrieb im vorgesehenen Umfang (als fünfklassige Rektoratsschule). In den zwanziger Jahren gibt es einerseits Pläne, sie in ein (sechsklassiges) Progymnasium umzuwandeln, andererseits aber auch wiederholt Auflösungspläne. Tatsächlich wird die Rektoratsschule zum 31.03.1931 als städtische Einrichtung geschlossen. Durch private bzw. kirchliche Initiative der Pfarrgemeinde St. Clemens wird sie anschließend als "private höhere Knabenschule" fortgeführt. Die neue, wesentlich kleinere Privatschule zieht aber aus dem großen Schulgebäude an der Hindenburgstraße aus in ein kleineres in der Gartenstraße. Die ehemalige Kaiser-Wilhelm-Schule dient fortan der Berufsschule und Teilen der katholischen Volksschule als Unterkunft. 1961-64 kommt ein großer Erweiterungsbau hinzu. Heute befindet sich hier die städtische Gemeinschaftshauptschule. Beschreibung Charakteristisch ist die an barocken Vorbildern orientierte Formensprache des breit gelagerten Putzbaues auf schmal-rechteckigem Grundriss mit zwei Vollgeschossen über Sockelgeschoss und Mansarddach. Die Symmetrie der Straßenfront mit dreimal drei Fensterachsen, mittlerem Zwerchhaus und bekrönendem Dachreiter mit Haube wird aufgelöst durch einen schmalen seitlichen Eingangsrisaliten, dessen drei Geschosse von einem abgewalmten Dach überfangen werden und dem ein antikisierendes Portal vorgestellt ist. Diese Ansicht deutet schon beim äußerlichen Betrachten darauf hin, dass hier eine Erweiterung nach Westen vorgesehen war, die jedoch nicht mehr ausgeführt wurde. Lage und Gestaltung der projektierten Erweiterung sind auf Plänen in der Bauakte überliefert. Die horizontale Lagerung der Fassade wird unterstützt durch die Linien des Übergangs vom grauwackeverkleideten Sockelgeschoss zum Verputz der Vollgeschosse, das Sohlbankgesims zwischen Erd- und Obergeschoss und die Linien des Daches (Traufe, Knick der Mansarde, First). Hinzu kommt die Zusammenfassung der hochrechteckigen Fenster zu Dreiergruppen, durch die ebenfalls liegende Figuren entstehen. Ein weiteres prägendes Motiv sind die dreieckigen Giebelformen am Zwerchhaus, den beiden begleitenden Dachgauben und dem Portalvorbau, bei dem der Giebel auf einem von Doppelsäulen getragenen Gebälk ruht. Das Giebelfeld schmückt eine Kartusche mit einem stilisierten Bienenkorb (symbolisch das Schulhaus als Heim fleißiger Schüler) in der Mitte, seitlich begleitet von ausgeleerten Füllhörnern. Im Gebälk unterhalb des Giebels ist in Großbuchstaben der Schriftzug Kaiser-Wilhelm-Schule angebracht (ursprünglich "pietati, virtuti, doctrinae"). Unter ihm führen sieben Stufen zwischen Naturstein-Wangenmauern zu einer (modernen) zweiflügeligen Eingangstür. Die beiden Fenster oberhalb des Portals werden von einem Rundbogen überkuppelt, in dessen Feld das Stadtwappen Süchtelns eingefügt ist; ursprünglich war an dieser Stelle ein Portraitmedaillon Kaiser Wilhelms II. angebracht. Das vergleichsweise kleine Format der straßenseitigen Fenster deutet an, dass hinter ihnen die Flure angeordnet sind. Die wesentlich größeren, dreiteiligen Klassenfenster befinden sich in drei Zweiergruppen an der rückwärtigen Hofseite, was insofern ungewöhnlich ist, als dass die Klassen somit von Norden belichtet sind. Offenbar wurde dieser Nachteil bei der Planung als weniger schwerwiegend bewertet als eine eventuelle Öffnung der Klassenzimmer in Richtung Straße. Eine beide Probleme vermeidende, jedoch städtebaulich deutlich weniger repräsentative Querstellung des Baukörpers scheint demgegenüber keine Alternative gewesen zu sein. Abgesehen von der anderen Fensterproportion entspricht die Hofseite ansonsten gestalterisch im wesentlichen der Straßenfront. Das Zwerchhaus ist etwas breiter (vier Fenster) und wird von Fensterbändern in der Mansarde begleitet. Der in den Entwurfszeichnungen wie sein vorderes Pendant als antikisierender Portikus dargestellte Hintereingang wurde wohl 1961/62 zugunsten einer Anbindung der jüngeren Erweiterungsbauten mit einem überdeckten Gang (Pausenhalle) verändert. Da das Grundstück zur Stadt hin leicht abfällt, tritt das Sockelgeschoss an der rechten Schmalseite in voller Höhe ebenerdig hervor. Hier und an der Vorderseite führen zwei Zugänge direkt in das Souterrain, wo sich ursprünglich neben Sanitärräumen auch eine Hausmeisterwohnung befand.In den eigentlichen Klassenzimmergeschossen ist der einhüftige Grundriss mit straßenseitigem Flur und hofseitigen Klassen unverändert erhalten. Der Eingangsrisalit nimmt außer den Eingängen auch die massiv gemauerte Treppe (gerade, zweiläufig mit Wendepodest, Stufen aus Kunststein) auf. An der Ecke zum Flur ist ein Inschriftstein mit der Jahreszahl 1913 in die Wand eingelassen.Die Entwurfszeichnungen zeigen im Erdgeschoss drei, im Obergeschoss hingegen nur zwei Klassenräume, da dort zusätzlich die Zimmer für den Rektor, das Lehrerkollegium und zur Aufbewahrung der Lehrmittel untergebracht waren. Das Dachgeschoss enthält einen großen zentralen Raum ("Zeichensaal"). In der Flucht des Flures war in der heutigen Außenwand des Eingangsrisalites ursprünglich der Durchgang für den Erweiterungsbau vorgesehen. Heute befindet sich dort im Erdgeschoss ein großformatiges Fenster liegenden Formats, wohl aus der Zeit nach 1945, dessen beckenartige Brüstung an den hier befindlichen Trinkbrunnen der Erbauungszeit erinnert. Andere historische Ausstattungsstücke sind augenscheinlich kaum noch vorhanden - erwähnenswert sind einzelne Wandschränke. Architekturgeschichtliche Würdigung
und Denkmalwert Der Viersener Architekt Franz Bruysten ist auch als Planverfasser der Gebäude Hindenburgstraße 67 und 69 belegt, beide im Auftrag von Peter Ling, dem Sohn von Wilhelm Ling errichtet. Somit kann vermutet werden, dass Bruysten möglicherweise durch Vermittlung von Ling, der ja einen erheblichen Beitrag zur Finanzierung der neuen Schule leistete, den Auftrag für die Rektoratsschule erhielt. Die in der Bauakte enthaltenen Pläne und Schriftstücke dokumentieren, dass deren Gestaltung jedoch nicht allein auf Bruysten, sondern darüber hinaus auf die erhebliche Mitwirkung der überörtlichen Bauberatungsstellen zurück geht. So war nicht von ungefähr der Architekt Hermann Hecker, Leiter Bauberatungsstelle des Rheinischen Vereins für Kleinwohnungswesen in Düsseldorf, bei der Einweihung der Schule persönlich anwesend und erhielt den ausdrücklichen Dank für seinen Beitrag "zur schönen Gestaltung" (Süchtelner Zeitung 27.11.1913). Unter der Bezeichnung "Bauberatung" wurde in den 1900er Jahren vielerorts die Begutachtung und nötigenfalls Abänderung der funktionalen und ästhetischen Gestaltung von eingereichten Bauvorhaben in das Baugenehmigungsverfahren integriert, allerdings auf organisatorisch und rechtlich uneinheitliche Weise. Betreiber dieses Instruments waren maßgeblich die antihistoristische Reformbewegung und der Heimatschutz, die sich hiervon - im zeitgenössischen Sprachgebrauch - eine Hebung des allgemeinen Bauniveaus versprachen. Konkret bedeutete dies, dass zur Genehmigung eingereichte Bauanträge einem örtlich, regional oder gar überregional etablierten Gremium zur Begutachtung vorgelegt werden mussten. Bei öffentlichen bzw. mit öffentlichen Mitteln geförderten Bauvorhaben wie z.B. der Schule in Süchteln konnte dies dann bindend sein, so dass der Entwurfsverfasser gegebenenfalls die z.T. durchaus rigorosen Änderungsvorschläge der Bauberatung umzusetzen hatte. Eine der ersten Bauberatungsstellen in Deutschland überhaupt hatte 1906 der Rheinische Verein zur Förderung des Arbeiterwohnungswesens (später: Kleinwohnungswesen) in Düsseldorf unter Leitung von Hermann Hecker eingerichtet. Nach ihrem Vorbild wurde zwischen 1908 und 1912 ein Netz aus etwa 70 lokalen und regionalen Bauberatungsstellen in der Rheinprovinz aufgebaut, das nach dem Ersten Weltkrieg aber nur noch eingeschränkt aufrecht gehalten wurde. Als Ziel seiner Bauberatungstätigkeit bezeichnete der Rheinische Verein für Kleinwohnungswesen 1922 klare und einfache Bauten, Einheitlichkeit der Erscheinung, sichere Dachgestaltung, saubere handwerkliche Durcharbeitung, Normung hierzu geeigneter Elemente, Einpassung in das Ortsbild und das Verwenden heimischer Baustoffe. Der von Bruysten im Oktober 1912 eingereichte Entwurf für die Rektoratsschule besaß zwar schon im Prinzip die später ausgeführte Baukörperdisposition, sah im Aufriss aber eine regelmäßige Reihung der Fensterachsen (innerhalb durch einfache Lisenen getrennter Putzfelder) vor. Das Dach war wohl als einfaches Walmdach vorgesehen, mit einer abgeschleppten Gaube an der Straßenfront. Der Eingang wird im Erdgeschoss als Kastenbau weit vorgezogen, sein Dach sollte dem Obergeschoss als Austritt dienen. Die monoton wirkende serielle Reihung der Fenster, die großflächige Dachgestaltung und die fensterlose Seitenfront unterscheiden sich erheblich von der ausgeführten neubarocken Gestaltung. Diese mit ihrer rhythmischen Fenstergruppierung, Mansarddach, Zwerchhaus, Dachreiter und Portikus geht also höchst wahrscheinlich auf Hecker und den ebenfalls hinzugezogenen Kreisbaumeister Ledschbor (Bauberatungsstelle des Kreises Kempen) zurück. Zwar sind keine Zeichnungen Heckers oder Ledschbors in der Bauakte überliefert, solche werden aber ausdrücklich ("Skizze mit Bemerkungen im Maßstab 1:200") in einem Schreiben Heckers vom 25.01.1913 erwähnt. Neubarocke oder auch neuklassizistische Gestaltungen waren um 1910 ein fester Bestandteil der antihistoristischen Architekturreform und galten insbesondere bei repräsentativen Bauvorhaben wie der Rektoratsschule in Süchteln als angemessene Formensprache. Maßgeblichen Anteil an der Verbreitung dieser Entwurfshaltung hatten z.B. die einflussreichen Bücher von Paul Schultze-Naumburg und das bereits im Titel programmatische Werk "Um 1800" von Paul Mebes. Die Rektoratsschule in Süchteln ist also ein beredtes Zeugnis nicht nur dieser wichtigen Architekturströmung und der Schulbauarchitektur der Kaiserzeit im allgemeinen, sondern auch der zeitgenössischen Bauberatungspraxis. Als ehemalige Rektoratsschule und damit Zeugnis des modernen Ausbaus des mittleren und höheren Schulwesens in Süchteln ist das Gebäude Hindenburgstraße 128, heutige Gemeinschafts-hauptschule bedeutend für Viersen. An Erhaltung und Nutzung des historischen Altbaus besteht ein öffentliches Interesse aus den genannten wissenschaftlichen, insbesondere architektur- und ortsgeschichtlichen Gründen. Er ist daher ein Baudenkmal gemäß § 2 (1) Denkmalschutzgesetz NW. Nach derzeitigem Kenntnisstand sind die Erweiterungsbauten von 1961-64 nicht Teil des Denkmals. Eine Beurteilung ihres architekturgeschichtlichen Wertes als Zeugnisse der Architektur der 1960er Jahre war nicht Gegenstand dieser Untersuchung.
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