Evang. Gemeindehaus in Viersen
Denkmalbeschreibung:
Geschichte
Kurz vor Kriegsende, am 24. Februar 1945, wurde das alte 1889 erbaute
evangelische Gemeindehaus durch Bomben total zerstört. Bereits im Juli
1946 fasst das Presbyterium den Beschluss, an derselben Stelle ein neues
Gemeindehaus nach Plänen des Viersener Architekten W. Esser zu
errichten, den alten Maßen angepasst. Durch Gemeindezuwachs und neuen
Grundstückserwerb verzögerte sich das Projekt, bis man im Januar 1953
auf die alten Planungen zurückgreift und den Grundstein zum Neubau an
alter Stelle legt. Bereits 1950 war der Kindergarten im hinteren Teil
des Geländes ebenfalls von Esser neugebaut worden. Am 14. November 1954
wird das neue evangelische Gemeindehaus eingeweiht.
Lage und Beschreibung
Das Objekt liegt im östlichen Zentrum Viersens parallel zwischen
Hauptstraße und Freiheitsstraße neben dem Rathaus. Es handelt sich um
einen zweigeschossigen Gebäudekomplex, der als Eckbau zur Poststraße
ausgerichtet ist, bestehend aus dem Saalbau und zweieinhalbgeschossigen
Wohnhaus mit Hausmeisterwohnung. Das Gebäude besteht aus Klinker mit
Kalksandsteinverblendungen und -gewänden. Im Grundriss stellt sich das
Gebäude als ein rückwärtig gestufter Winkelbau dar. Der Saalbau ist
zur Straße symmetrisch gegliedert mit erhöhtem Mitteltrakt und
seitlich flankierenden Eingangsbauten. Das flache Walmdach über dem
Saal wird als Flachdach wahrgenommen, wodurch der Eindruck eines kubisch
gestaffelten Baukörpers entsteht. Strenge Achsialität kennzeichnet den
Bau. Die Fassaden werden gegliedert durch Zusammenfassung der
hochrechteckigen Fenster und Eingänge durch Kalksandsteinrahmungen, die
beim Saal als Scheinskelett erscheinen. Dem horizontal ausgerichteten
Baukörper antworten als Kontrast die Vertikalen der Fenster und
Rahmungen. Die Eingänge treten aus der Flucht leicht hervor. Der
Haupteingang ist gekennzeichnet durch drei Treppenstufen und einen
schlichten Balkon. Gegenüber dem Haupteingang liegt an der Rückseite
ein gleichartiger Ausgang.
An den Saalbau schließt sich unmittelbar das
Wohnhaus an, dessen Treppenhaus noch zum Baukörper des Saalbaus gehört.
Das schlichte vierachsige Gebäude ordnet sich dem Saalbau unter. Das
Mezzanin ist durch drei Rundfenster gekennzeichnet, ein Motiv, das sich
im Erdgeschoss des Saalbaus wiederholt und die strenge Fassade
auflockert.
Die Innenstruktur ist klar gegliedert und
bereits am Außenbau ablesbar. Hinter dem Windfang des Haupteingangs öffnet
sich die Halle, gleichsam dreischiffig durch Säulen gegliedert, hinter
denen sich beidseitig Garderoben befinden. Rückwärtig öffnet sich über
drei Stufen das zentrale Treppenhaus, zweiarmig geschwungen. In der
Achse liegt der rückwärtige Ausgang. Im Erdgeschoss schließen sich
nach links Vereins- und Sanitärräume an.
Das Obergeschoss beherbergt als Kernstück den
großen Saal mit Orgelempore und Podium. Die geschweifte Empore wird von
rabbitzverschalten Eisensäulen getragen. Die Wände sind türhoch
holzvertäfelt, die Fenstergewände holzverschalt. Die
Eisensprossenfenster sind original. Die Decke ist einfach gekehlt.
Durch eine Holzfalttür unter der Empore ist
der Hauptsaal mit dem kleinen Saal verbunden, der über der
Eingangshalle liegt.
Flankierende Türen neben dem Podium schaffen
die Verbindung zum Wohnhaus, das hier im Obergeschoss Umkleideräume und
Kaffeeküche beherbergt.
Das gesamte Gebäude zeichnet sich durch eine
selten gut erhaltene Originalausstattung aus, die atmosphärisch die
Erbauungszeit nachempfinden lässt. Angefangen von den Fußböden, über
Fenster, Türen, Griffen, Geländer, Vertäfelungen bis hin zu den
Beleuchtungskörpern, die ein breites Spektrum an Lampen aus den 50er
Jahren aufweisen.
Begründung des Denkmalwertes
I.1. Das Objekt ist bedeutend für die Geschichte des Menschen als
Beispiel für den Typus des von der Kirche separierten Gemeindezentrums
für gemeindliche Veranstaltungen. Diese Art der kirchlichen Bautätigkeit
geht im evangelischen Bereich auf das späte 19. Jahrhundert zurück und
stellt eine gesonderte Bauaufgabe im evangelischen Bauen dar.
I.2 Das Objekt ist bedeutend für die Stadt Viersen, da es ein Zeugnis
evangelischen Lebens in der Stadt ist. Eine evangelische Gemeinde ist in
Viersen seit 1633 nachweisbar, jedoch in der katholischen Enklave ohne
Kirche und Seelsorger. Während des spanischen Erbfolgekrieges erhielt
Viersen 1705 seinen ersten evangelischen Pastor, 1718 folgt der erste
Kirchenbau, dem 1877 die neue evangelische Kirche an der Hauptstraße
folgt. 1889 wird das erste Gemeindehaus - ein frühes Beispiel dieser
Gattung - gebaut, dessen Tradition das in Rede stehende Objekt an
gleicher Stelle fortführt.
II. Für die Erhaltung und Nutzung des Objektes
liegen
1. architekturgeschichtliche Gründe vor. Das Gebäude ist der
traditionellen Richtung der 50er Jahre verpflichtet. Es geht auf die
Tradition der Heimatschutzbewegung im Umkreis des Deutschen Werkbundes
vor dem Ersten Weltkrieg zurück, die die schlichte, einfache Form in
heimatgebundenen Materialien bevorzugte und sich über die Architektur
des Dritten Reiches fast nahtlos bis in die 50er Jahre fortsetzte.
Innovationen im Sinne des "Nierenstils" wurden nicht
aufgenommen, vielmehr konsequent bis ins Detail am "biederen"
Traditionalismus festgehalten. In dieser reinen und original erhaltenen
Art beansprucht das Objekt fast Seltenheitswert.
2. Für die Erhaltung und Nutzung liegen städtebauliche Gründe vor.
Das Objekt liegt auf einem Eckgrundstück im Zentrum Viersens und hebt
sich durch seine markante kubische Gestalt im Straßenraum hervor, ohne
jedoch die Maßstäblichkeit zu sprengen.
3. Für die Erhaltung und Nutzung liegen ortsgeschichtliche Gründe vor,
da das Gebäude im Verband mit der evangelischen Kirche die evangelische
Tradition bis in die Nachkriegszeit in Viersen dokumentiert (s.a. I,2).
Nach dem Kriege hatte sich die Zahl der evangelischen Gemeindemitglieder
durch Zuzug von Flüchtlingen verdreifacht. Darüber hinaus ist es ein
gut erhaltenes Zeugnis des für Viersen bedeutenden Architekten Wilhelm
Esser, der zahlreiche Bauten in Viersen errichtete und auch damit
Bautradition in Viersen geschrieben hat (u.a. Stadtbad 1906).
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das
evangelische Gemeindehaus in Viersen gem. § 2 DSchG NW bedeutend ist für
die Geschichte des Menschen und für die Stadt Viersen und für seine
Erhaltung und Nutzung architekturgeschichtliche, städtebauliche und
ortsgeschichtliche Gründe vorliegen.