Denkmale in der Stadt Viersen

Lfd. - Nr. 402

 

Standort:

Heinz - Luhnen - Straße 1,  D 41751 Viersen - Dülken

GPS:

5115' 14,7" N   06o 20' 09,9" O

Zuständigkeit:

Privat

Baujahr:

1925

Tag der Eintragung als Denkmal

13. Dezember 2000

Quellenhinweis:

Beschreibung der Denkmalbehörde

 

 

 

 

Wohnhaus und Büro in Dülken

Denkmalbeschreibung:

Das Haus, das der Auktionator August Bohnen 1925 für sich und seine Familie nach Plänen des Dülkener Architekts F. Fremerey erbauen ließ, ist ein verputztes zweigeschossiges Wohnhaus mit Walmdach. Es steht frei an der ehemaligen Hindenburgstraße. Wegen der geringen Fläche des zugehörigen Grundstücks ist es nicht angebracht, von einer Villa im klassischen Wortsinn zu sprechen, auch wenn Habitus und Raumprogramm des Hauses dies nahe legen. Ein Gartenpavillon und eine Garage in der gleichen Formensprache flankieren das Haus und sind mit ihm z.T. sogar lose baulich verbunden. Nach vorne zur Straße schließt die originale Einfriedung (Mauersockel mit Ziergitter in geometrischen Formen und Tor zwischen Mauerpfeilern) das Grundstück ab.

Der im Prinzip rechteckige Grundriss des horizontal gelagerten Baukörpers ist durch Ausbauten im Erdgeschoss verunklärt. Nach vorne zur Straße wird der mittig gelegene Eingang links von einem dreiseitig gebrochenen (Herrenzimmer), rechts von einem rechtwinkligen Vorbau (Büro) flankiert. An den Seitenfassaden greift jeweils in der hinteren Hälfte das Erdgeschoss vor die Flucht, und nach hinten ist die Mittelachse über beide Geschosse flach dreiseitig vorgezogen. Die erdgeschossigen Vorbauten vorne und an der Seite dienen zugleich als Austritte für die Zimmer im Obergeschoss.

Die Fassade ist betont schlicht gehalten. Lediglich zwei feine Bänderungen unterhalb der Traufe sind ihr appliziert. Die formale Gestaltung einiger Details im Zusammenhang der typischen Baukörperproportion verleiht ihr trotzdem einen zeittypischen Stil, der in der Architekturgeschichte meist als "expressionistisch" bezeichnet wird. Zu nennen sind vor allem die Betonung der Mittelachse durch den eingezogenen Spitzbogen der Eingangsnische, daneben die kleinen schlanken Fenster im Bürovorbau und im Obergeschoss sowie schließlich der flache Dreieckgiebel, der in die Dachzone ausgreift und dessen Verlauf die Bänderung unterhalb der Traufe aufnimmt. Diese wenigen Details bereiten gewissermaßen auf das Innere vor, in dem dieser Stil zur Blüte gelangt.

Ein weiteres zeittypisches Merkmal sind die fast überall original erhaltenen Fenster mit ihrer charakteristischen Zweiteilung in eine untere (3/5) ungeteilte Fläche und eine obere (2/5) sprossengeteilte, wobei bei den großen Fenstern der untere Teil nach oben geschoben wird.

Das Dach war ursprünglich mit Schiefer eingedeckt.

Durch die originale Haustür mit großem Glaseinsatz und Oberlicht im Spitzbogen betritt man einen kleinen Windfang. Der querrechteckige Raum besitzt eine ausgefallene Deckenlösung mit einem steilen konvexen Spiegelgewölbe, in das die Oberlichter der Außentür und der Tür zum Wohnbereich scharf eingeschnitten sind. Deckengesims und -spiegel sind ornamental profiliert. Von diesem Vorraum aus erreicht man rechts das Büro und geradeaus den Verteilerflur mit Treppenhaus, von wo aus die anderen Räume erschlossen werden: Geradeaus nach hinten die Küche, links und rechts davon die Wohnzimmer (ursprünglich Herren-, Speise- und Wohnzimmer). Im Obergeschoss sind weitere (Schlaf-) Zimmer und das Bad untergebracht. Der originale Grundriss ist damit ebenso erhalten wie die bemerkenswerte homogene Raumausstattung. Treppe, Türen, die zahlreichen Einbauschränke, Heizkörperverkleidungen etc. aus weiß lackiertem Holz sind in expressionistischen Formen gehalten bzw. mit solchen dekoriert, d.h. schräge, asymmetrische Dreieck-, Rauten- oder Zackenformen durchbrechen die geraden Grundformen und drücken Dynamik und Spannung dieses Stils aus. Besonders hervorzuheben sind die im Anlauf geschwungene Treppe, deren Anfangspfosten und Geländerbretter aus der Grundform gelängter Trapezformen entwickelt sind (zwischen Ober- und Dachgeschoss ist die Brüstung geschlossen), die dreieckigen Oberlichter der Zimmertüren, die Glastüren in Holzrahmen mit Sprossenteilung und klassizierendem Gewände, z.B. zwischen Vorraum und Treppenhaus und im Obergeschoss (Bad), eine schräge Tür zum Speicher, die Kücheneinrichtung mit originalen Wandschränken und rautenförmigem Deckenspiegel, die Heizkörperverkleidung im ehemaligen "Herrenzimmer" (Erdgeschoss vorne links) mit originalem Heizkörper, die farbige Bleiverglasung im Büro. Deckenstuckierungen variieren ebenfalls in der Form von zackenförmigen Sternen bis hin zur kassettenartigen Gestaltung im Treppenhaus.

Bei dieser Aufzählung handelt es sich lediglich um eine Auswahl aus der großen Fülle originaler wandfester Substanz und Ausstattungsdetails, die insgesamt ein unverfälschtes Raumbild der zwanziger Jahre vermittelt. Im Treppenhaus mit Marmor-Steinboden befand sich im Erdgeschoss ursprünglich ein heute überstrichenes Wandgemälde einer Teichlandschaft, von dem der heutige Eigentümer noch ein Foto besitzt.

Auf dem Grundstück sind dem Wohnhaus in stilistisch angepasster Weise ein Gartenpavillon und eine Garage beigefügt, beide flachgedeckt und mit weiß abgesetztem Kranzgesimsband. Die Garage ist mit dem Haus baulich verbunden. An ihr sticht das zweiflügelige Holztor mit ornamental aufgesetzter Verbretterung hervor, das von einem kleinen dreieckigen Oberlicht bekrönt wird.

Es handelt sich also um ein in bemerkenswerter Vollständigkeit erhaltenes Beispiel eines Wohnhauses gehobenen Anspruchs der zwanziger Jahre. Die Formensprache ist am Außenbau neusachlich-traditionalistisch (konventioneller Baukubus mit altanartigen Ausbauten, Steildach, im wesentlichen symmetrische Proportionierung), allerdings mit einigen stilistischen Details, die auf den Expressionismus als zeittypischen Dekorationsstil verweisen. Dass das Gebäude von Anfang an verputzt war, ist am Niederrhein, wo Backsteinsichtigkeit auch bei einer solchen Bauaufgabe durchaus möglich gewesen wäre, zwar nicht ungewöhnlich, verdient aber trotzdem Erwähnung.

Die ebenfalls zeittypische programmatische "Einfachheit" in der Architekturgestaltung kommt ganz deutlich beim Grundriss zum Ausdruck, der sehr übersichtlich und, vor allem im Obergeschoss, beinah achsensymmetrisch konzipiert ist.

Beeindruckend ist die weitestgehend ursprünglich erhaltene Raumausstattung im Inneren. In den vorhandenen Planunterlagen sind diesbezügliche Entwürfe nicht enthalten. Ob sie auch vom Architekten F. Fremerey stammt, kann daher derzeit nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden, ist aber wahrscheinlich. Viel mehr als am Außenbau kommt hier ein mit "Expressionismus" vielleicht am besten bezeichneter Dekorationsstil zum Einsatz, der sich in Rauten-, Dreieck-, Trapez- und Zackenformen konzentriert. (Inwiefern es angemessen ist, den kunsthistorischen Stilbegriff "Expressionismus" aus Malerei und Plastik auch auf die Architektur zu übertragen, ist dabei in der Forschung umstritten). Ähnlich wie vor ihm der Jugendstil steht auch dieser Stil zwischen klassizistisch-historistischen und modernistisch-funktionalistischen Tendenzen, gewissermaßen als "gemäßigte" Alternative zwischen den Extremen konservativ/avantgarde. Auffallend ist auch der bewusst helle Raumeindruck, der vor allem durch die weißen Holzelemente hervorgerufen wird, und der in den zwanziger Jahren durchaus "fortschrittlich" war. Die in den zeitgenössischen, überwiegend konservativen Architekturzeitschriften veröffentlichten Interieurs aus vergleichbaren Wohn- und Villenbauten zeigen meist noch die schweren dunklen Holzausstattungen und Farben, die schon vor dem Ersten Weltkrieg als herrschaftlich und repräsentativ galten. Das Dülkener Beispiel ist dabei unbedingt "auf der Höhe der Zeit", wie noch die Beispiele in späteren Jahrgängen der einschlägigen Zeitschriften belegen. Die etwas einfachere Ausführung (im Vergleich z.B. zu Edelholzvarianten) ist daher sicher nicht allein aus Kostengründen gewählt worden, gleichwohl könnte auch dies eine Rolle gespielt haben, denn nach Fertigstellung stritten Bauherr und Architekt noch gerichtlich um die Baukosten. In den dazu erhaltenen Unterlagen hebt Bohnen wiederholt hervor, dass ihm nur ein begrenztes Budget zur Verfügung gestanden habe, welches aber erheblich überschritten worden war. Schuld daran waren nach Bohnens Auffassung Fehler des Architekten, die auf dessen Unerfahrenheit und übertriebenes Anspruchsdenken zurückzuführen seien.

Aus diesen Unterlagen gehen auch die wenigen Informationen hervor, die uns bislang über den Architekten Fremerey bekannt sind. Demnach stammte er aus Süddeutschland und war zum Zeitpunkt der Errichtung dieses Hauses noch ein junger Mann. Laut Bohnen behauptete er von sich, er sei vom Kreisbauamt in Kempen nach Dülken "beordert" worden, um dort eine "gescheitere Bauweise" einzuführen. Bei aller Vorsicht hinsichtlich des Wahrheitsgehalts dieser (parteiischen) Zitate lässt dies ebenso wie die Ausführung des Dülkener Hauses darauf schließen, dass sich Fremerey in der Tat als ein ambitionierter Architekt verstand. Bislang ist lediglich ein anderes, etwa zeitgleiches Gebäude von ihm bekannt, das Wohnhaus des Arztes Dr. Pielen in Amern St. Anton (Schier 1). Auch mit diesem Bauherren geriet Fremerey laut Bohnens Schrift im Nachhinein in Streit wegen gestiegener Kosten und anderer Mängel. Das Haus in Amern wurde seinerzeit mehrfach als vorbildlicher Neubau publiziert, einmal durch das Kreisbauamt Kempen im Heimatbuch des Kreises 1928 und ein zweites Mal in der Sonderausgabe "Das Schwalmtal" der Westdeutschen Blätter vom Juli 1929.

Die Heinz-Luhnen-Straße war im Stadtbauplan von 1894 (Stadtbaumeister Ulrich) als Victoriastraße bereits vorgesehen. Erst 1919 jedoch wurde der Bereich zwischen Friedrichstraße und Viersener Straße als Hindenburgstraße angelegt. Sie ist geradlinig direkte Verbindung von Stadtkern und Bahnhof. Im Gegensatz z.B. zu der benachbarten Friedrichstraße mit ihrer gründerzeitlichen Reihenbebauung ist die heutige Heinz-Luhnen-Straße in diesem ab 1919 entstandenen Abschnitt geprägt durch eine aufgelockerte Bebauung freistehender Wohnhäuser, z.T. gehobenen Anspruchs. Das Haus Heinz-Luhnen-Straße 1 ist integraler Teil dieser charakteristischen Bebauung.

Das Wohnhaus Heinz-Luhnen-Straße 1 in Dülken ist bedeutend für Viersen als qualitätvolles Zeugnis der Bau- und Wohnkultur der zwanziger Jahre in der damals selbstständigen Stadt Dülken und als prägender Teil der Heinz-Luhnen-Straße.

Seine Erhaltung und Nutzung liegen im öffentlichen Interesse aus wissenschaftlichen, insbesondere den dargelegten architekturgeschichtlichen Gründen, als fast in vollem Umfang original überliefertes Beispiel der Baukunst der zwanziger Jahre. Besonderer Augenmerk gilt dabei der Innenausstattung, die in seltener Weise ein komplettes Raumbild jener Zeit wiedergibt.

Teil des Denkmals sind neben dem Wohnhaus auch Garage, Pavillon und Einfriedung zur Straße. Für diesen Zweck gebaute Autogaragen aus den 1920er Jahren sind im Rheinland durchaus als Seltenheit zu bezeichnen, zumal in gestalterisch so qualitätvoller und gut erhaltener Ausführung wie hier.