Denkmale in der Stadt Viersen

Lfd. - Nr. 364

 

Standort:

Eichenstraße 73,  D 41747 Viersen 

GPS:

5115' 03,6" N   06o 24' 17,2" O

Zuständigkeit:

Privat

Baujahr:

1852, 1853, 1892, 1894

Tag der Eintragung als Denkmal

10. September 1997

Quellenhinweis:

Beschreibung der Denkmalbehörde

 

 

 

 

Ehem. Gerberei  / Lederfabrik in Viersen

Denkmalbeschreibung:

Die Geschichte der gewerblichen Tätigkeit auf dem Grundstück Eichenstraße 73 reicht über nunmehr fast 145 Jahre zurück. Im Jahr 1853 erhält Thomas Rath zu Viersen auf seinen Antrag vom 10.02. des Jahres die Erlaubnis zum Betrieb einer Lohgerberei "hinter Ihrem neu erbautem Hause an der Eichenstraße Viersen". Letzteres ist laut Ausweis des "1852" datierten Keilsteins über der Durchfahrt am Südende des Gebäudes kurz vorher entstanden. Im rechten Winkel zu diesem Bau wird im Süden ein lang rechteckiges, zweigeschossiges Werksgebäude errichtet, das im Situationsplan vom 29.01.1853 mit "Gerberei-Gebäude" bezeichnet ist.

Einen geschlossenen Hof bildend, entstehen ferner im Westen der "Lohschoppen", rechtwinklig dazu der Bau mit den Gerbbottichen, daran anschließend Lohkammer, Holzschoppen und Waschküche. Es entspricht dieser Anordnung dem vor maschinellen Betriebe einer mit Rindenlohe und in handwerklicher Technik arbeitenden Gerberei, deren äußere Erscheinungsform eher einem bäuerlichen, als einem gewerblichen Betrieb entspricht, zumal bei der hier gewählten, vierflügeligen Anlage.

Die nächste bedeutende, architektonisch und funktional ins Gewicht fallende Bauphase liegt am Ende des 19. Jahrhunderts. Im Jahre 1892 erfolgt seitens des neuen Eigentümers August Henrichs das Gesuch zur Vergrößerung seiner "Gerberei-Werkstelle", das sich auf Anfügung zweier Bauteile im Osten und Westen des Gerbereigebäuden von 1853 bezieht.

Der bedeutendste Industriebau der Unternehmung entsteht dann 1894. Ein 2 ½-geschossiges "Farbhaus mit Trockenspeichern" nimmt im Erdgeschoss "Farb- und Versenkgruben", im 1. Obergeschoss die "Speicher für Sommertrocknung" und im Dachgeschoss die "Trockenspeicher" auf.

Entsprechend der Betriebsvergrößerung wird auch eine Kläranlage im Osten des Grundstückes nötig, die einen am Areal vorbeifließenden Bach als Vorfluter nutzt - unabdingbare Voraussetzung jedes Gerbereibetriebes. Unmittelbar angegliedert wird die "Leimfleisch- und Kalkgrube" als Vorbereitungsanlage für die weitere Lederbearbeitung. Dies ist in etwa der Stand, den die Fabrikansicht der 1890er Jahre aus der Vogelperspektive zeigt, noch bevor westlich hinter dem Fabrikbau die "Fellgruben - Überdachung" und östlich davon das Kessel-, Kontor- und Imprägnier-Gebäude entsteht (1898 und 1899).

Für das heutige Erscheinungsbild ist dann noch der Umbau des Nordtraktes zu Stallungen relevant, der zu einem Holzfachwerktrakt zwischen Kesselhaus und Nordtrakt führt. In den 1920er Jahren kommt im Süden ein Anbau an die alte Gerberei und eine Blendmauer am Ostende hinzu. Wann der brückenartige Übergang zwischen alter und neuer Gerberei entsteht, ist nicht zu eruieren.

Beschreibung
1. Wohnhaus
Das sieben Achsen breite, 2-geschossige Wohnhaus als Backsteinbau mit pfannengedecktem Satteldach ist hofseitig verputzt, straßenseitig - wohl in den 1920, frühen 30er Jahren - repräsentativ überformt. Die Innenaufteilung und feste Ausstattung entspricht noch weitgehend dem Zustand der letzten Jahrhundertwende.

2. Südtrakt
Der 1853 angelegte, nach Westen und Osten 1892 erweiterte Gerbereitrakt ist ein zweigeschossiger Backsteinbau mit Satteldach. Flache Stichbogenfenster mit Werksteinsohlbänken durchbrechen die Mauerflächen, die Türöffnungen des alten Teiles weisen Blausteinumrahmung auf. Hier ist auch ein mit dem Maschinenbetrieb ab 1898 verbundener Transmissions-Durchlass an der hofseitigen Wand erhalten. Der einfache, zweigeschossige Anbau im Westen ist in sachlich-nüchterner Form gehalten. Im Süden, am Westende des Altbaues, erhebt sich der mit dem Dampfkesselbetrieb nötig gewordene

2a Schornstein
als zylindrischer, bereits teilweise abgetragener Backsteinbau.

3. Farbhaus/Trockenspeicher
1894 erbaut, weist dieser Werksteil die klarste Charakteristik als ein Bauwerk des "Fabrikzeitalters" auf. Der 2 ½-geschossige Backsteinbau von im Osten 7, im Westen 8 Achsen Länge und 3 Achsen Breite gliedert seine Wandflächen mit Backstein-Lisenen und Stufensimsen. Das Dachgeschoss ist mit je einer Fünfergruppe gekoppelter kleiner Fenster erhellt, die mit nochmaligem Stufensims zur Traufzone überleiten. Das pfannengedeckte Satteldach kragt im Süden als Krüppelwalm vor, ein Aufzug hat hier ursprünglich die als Ladeluken ausgebildeten Wandöffnungen der Mittelachse des Südgiebels bedient. Das Firstende ist hier mit einer Windfahne über kugeliger Zinkblech-Halterung betont.
Die Durchfensterung des Fabrikbaues ist noch weitgehend in Eisensprossung gehalten, ihre technische Einrichtung in den Obergeschossen steht im Zusammenhang mit der Trockenfunktion dieser beiden Geschosse.Die Holzbohlen-Decken werden im Erdgeschoss von 2 Reihen Eisengussstützen, in den Obergeschossen von Holzstützen getragen. Ein nachträgliche Erschließungsbrücke erreicht den Neubau von 1894 an der Süd-West-Ecke des 1. Obergeschosses.

4. Kesselhaus/Kontor- und Imprägnierhaus
1898 wird dem vorbeschriebenen Bau an seiner Südost-Ecke ein eingeschossiger, in etwa quadratischer Anbau mit einem zweiteiligen Sheddach hinzugefügt. Der westliche Teil war zur Aufnahme des noch heute erhaltenen Kessels bestimmt, der südöstliche Teil diente als Kontorraum. Der nordöstliche später neu durchfensterte Bauteil ist als "Imprägnier-Raum" ausgewiesen. Dem Ostende des Baues, wurde eine - angesichts der Einfachheit dieses Shed-Schuppens "hochrepräsentative" Front mit 4 Traufentürmchen über Lisenen und aufwendigen Zahnschnittfries vorgewendet.

5. Nordtrakt
Auf Grund des Umbaues kommt diesem Bauteil eine weniger hohe bauhistorische Bedeutung zu, mit dem Baujahr 1853 und der ursprünglichen betrieblichen Funktion ist er aber integraler Teil der Gesamtanlage samt dem Verbindungstrakt zwischen Altbau und Kesselhaus im Zusammenhang mit der Errichtung von Stallungen.

6. Hofzone
Die gesamte Hofzone weist die ursprüngliche Werksteinpflasterung auf mit Einschluss der in Backstein gelegten Abflussrinnen zwischen den einzelnen Gebäuden.

Bewertung
Bei der Anlage der ehemaligen Gerberei August Henrichs handelt es sich im unter II beschriebenen Umfang um ein Denkmal im Sinne des § 2 Abs. 1 DSchG NW.
Die Gesamtanlage ist bedeutend für die Geschichte der Städte und Siedlungen sowie für die Entwicklung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse. Für Erhaltung und Nutzung liegen künstlerische und wissenschaftliche Gründe vor, hier insbesondere solche der Entwicklung der Werk- und Fabrikarchitektur, sowie des Überganges von manuellem zu maschinisiertem, dampfgestütztem Betrieb, also vom vorindustriellen zum industriellen Produktionsprozess. In seiner Gesamtheit mit der ensembleartigen Verknüpfung von Wohnen und Arbeiten über Vor- und Hochindustrialisierungsepoche hinweg vermag der Komplex einen guten Einblick in einen Betrieb zu geben, wie er für Viersen mit seiner hochentwickelten, maschinisierten Textilproduktion von hoher Wichtigkeit war. Für diese lieferte die Firma Henrichs ihre Spezialität, die für das Zeitalter der transmissionsgetriebenen Arbeitsmaschinerie wichtigen Riemenleder. Wenn auch außer dem originalen Dampfkessel im engeren Sinne betriebliche Einrichtungen nicht erhalten sind, so lässt sich doch in dem klar ablesbaren Dreischritt Wohnen, frühe, und dann auch fabrikmäßig entwickelte, Werksarchitektur einer Anlage dieser Epochen gut vor Augen führen, die auch bei einer gut vorstellbaren Neunutzung, etwa im Sinne der Wohnnutzung, nichts von ihrer Aussagekraft einbüßen würde.