Ehem. Gerberei /
Lederfabrik in Viersen
Denkmalbeschreibung:
Die Geschichte der gewerblichen Tätigkeit auf
dem Grundstück Eichenstraße 73 reicht über nunmehr fast 145 Jahre zurück.
Im Jahr 1853 erhält Thomas Rath zu Viersen auf seinen Antrag vom 10.02.
des Jahres die Erlaubnis zum Betrieb einer Lohgerberei "hinter
Ihrem neu erbautem Hause an der Eichenstraße Viersen". Letzteres
ist laut Ausweis des "1852" datierten Keilsteins über der
Durchfahrt am Südende des Gebäudes kurz vorher entstanden. Im rechten
Winkel zu diesem Bau wird im Süden ein lang rechteckiges,
zweigeschossiges Werksgebäude errichtet, das im Situationsplan vom
29.01.1853 mit "Gerberei-Gebäude" bezeichnet ist.
Einen geschlossenen Hof bildend, entstehen
ferner im Westen der "Lohschoppen", rechtwinklig dazu der Bau
mit den Gerbbottichen, daran anschließend Lohkammer, Holzschoppen und
Waschküche. Es entspricht dieser Anordnung dem vor maschinellen
Betriebe einer mit Rindenlohe und in handwerklicher Technik arbeitenden
Gerberei, deren äußere Erscheinungsform eher einem bäuerlichen, als
einem gewerblichen Betrieb entspricht, zumal bei der hier gewählten,
vierflügeligen Anlage.
Die nächste bedeutende, architektonisch und
funktional ins Gewicht fallende Bauphase liegt am Ende des 19.
Jahrhunderts. Im Jahre 1892 erfolgt seitens des neuen Eigentümers
August Henrichs das Gesuch zur Vergrößerung seiner
"Gerberei-Werkstelle", das sich auf Anfügung zweier Bauteile
im Osten und Westen des Gerbereigebäuden von 1853 bezieht.
Der bedeutendste Industriebau der Unternehmung
entsteht dann 1894. Ein 2 ½-geschossiges "Farbhaus mit
Trockenspeichern" nimmt im Erdgeschoss "Farb- und
Versenkgruben", im 1. Obergeschoss die "Speicher für
Sommertrocknung" und im Dachgeschoss die
"Trockenspeicher" auf.
Entsprechend der Betriebsvergrößerung wird
auch eine Kläranlage im Osten des Grundstückes nötig, die einen am
Areal vorbeifließenden Bach als Vorfluter nutzt - unabdingbare
Voraussetzung jedes Gerbereibetriebes. Unmittelbar angegliedert wird die
"Leimfleisch- und Kalkgrube" als Vorbereitungsanlage für die
weitere Lederbearbeitung. Dies ist in etwa der Stand, den die
Fabrikansicht der 1890er Jahre aus der Vogelperspektive zeigt, noch
bevor westlich hinter dem Fabrikbau die "Fellgruben - Überdachung"
und östlich davon das Kessel-, Kontor- und Imprägnier-Gebäude
entsteht (1898 und 1899).
Für das heutige Erscheinungsbild ist dann noch
der Umbau des Nordtraktes zu Stallungen relevant, der zu einem
Holzfachwerktrakt zwischen Kesselhaus und Nordtrakt führt. In den
1920er Jahren kommt im Süden ein Anbau an die alte Gerberei und eine
Blendmauer am Ostende hinzu. Wann der brückenartige Übergang zwischen
alter und neuer Gerberei entsteht, ist nicht zu eruieren.
Beschreibung
1. Wohnhaus
Das sieben Achsen breite, 2-geschossige Wohnhaus als Backsteinbau mit
pfannengedecktem Satteldach ist hofseitig verputzt, straßenseitig -
wohl in den 1920, frühen 30er Jahren - repräsentativ überformt. Die
Innenaufteilung und feste Ausstattung entspricht noch weitgehend dem
Zustand der letzten Jahrhundertwende.
2. Südtrakt
Der 1853 angelegte, nach Westen und Osten 1892 erweiterte Gerbereitrakt
ist ein zweigeschossiger Backsteinbau mit Satteldach. Flache
Stichbogenfenster mit Werksteinsohlbänken durchbrechen die Mauerflächen,
die Türöffnungen des alten Teiles weisen Blausteinumrahmung auf. Hier
ist auch ein mit dem Maschinenbetrieb ab 1898 verbundener
Transmissions-Durchlass an der hofseitigen Wand erhalten. Der einfache,
zweigeschossige Anbau im Westen ist in sachlich-nüchterner Form
gehalten. Im Süden, am Westende des Altbaues, erhebt sich der mit dem
Dampfkesselbetrieb nötig gewordene
2a Schornstein
als zylindrischer, bereits teilweise abgetragener Backsteinbau.
3. Farbhaus/Trockenspeicher
1894 erbaut, weist dieser Werksteil die klarste Charakteristik als ein
Bauwerk des "Fabrikzeitalters" auf. Der 2 ½-geschossige
Backsteinbau von im Osten 7, im Westen 8 Achsen Länge und 3 Achsen
Breite gliedert seine Wandflächen mit Backstein-Lisenen und
Stufensimsen. Das Dachgeschoss ist mit je einer Fünfergruppe
gekoppelter kleiner Fenster erhellt, die mit nochmaligem Stufensims zur
Traufzone überleiten. Das pfannengedeckte Satteldach kragt im Süden
als Krüppelwalm vor, ein Aufzug hat hier ursprünglich die als
Ladeluken ausgebildeten Wandöffnungen der Mittelachse des Südgiebels
bedient. Das Firstende ist hier mit einer Windfahne über kugeliger
Zinkblech-Halterung betont.
Die Durchfensterung des Fabrikbaues ist noch weitgehend in
Eisensprossung gehalten, ihre technische Einrichtung in den
Obergeschossen steht im Zusammenhang mit der Trockenfunktion dieser
beiden Geschosse.Die Holzbohlen-Decken werden im Erdgeschoss von 2
Reihen Eisengussstützen, in den Obergeschossen von Holzstützen
getragen. Ein nachträgliche Erschließungsbrücke erreicht den Neubau
von 1894 an der Süd-West-Ecke des 1. Obergeschosses.
4. Kesselhaus/Kontor- und Imprägnierhaus
1898 wird dem vorbeschriebenen Bau an seiner Südost-Ecke ein
eingeschossiger, in etwa quadratischer Anbau mit einem zweiteiligen
Sheddach hinzugefügt. Der westliche Teil war zur Aufnahme des noch
heute erhaltenen Kessels bestimmt, der südöstliche Teil diente als
Kontorraum. Der nordöstliche später neu durchfensterte Bauteil ist als
"Imprägnier-Raum" ausgewiesen. Dem Ostende des Baues, wurde
eine - angesichts der Einfachheit dieses Shed-Schuppens "hochrepräsentative"
Front mit 4 Traufentürmchen über Lisenen und aufwendigen
Zahnschnittfries vorgewendet.
5. Nordtrakt
Auf Grund des Umbaues kommt diesem Bauteil eine weniger hohe
bauhistorische Bedeutung zu, mit dem Baujahr 1853 und der ursprünglichen
betrieblichen Funktion ist er aber integraler Teil der Gesamtanlage samt
dem Verbindungstrakt zwischen Altbau und Kesselhaus im Zusammenhang mit
der Errichtung von Stallungen.
6. Hofzone
Die gesamte Hofzone weist die ursprüngliche Werksteinpflasterung auf
mit Einschluss der in Backstein gelegten Abflussrinnen zwischen den
einzelnen Gebäuden.
Bewertung
Bei der Anlage der ehemaligen Gerberei August Henrichs handelt es sich
im unter II beschriebenen Umfang um ein Denkmal im Sinne des § 2 Abs. 1
DSchG NW.
Die Gesamtanlage ist bedeutend für die Geschichte der Städte und
Siedlungen sowie für die Entwicklung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse.
Für Erhaltung und Nutzung liegen künstlerische und wissenschaftliche
Gründe vor, hier insbesondere solche der Entwicklung der Werk- und
Fabrikarchitektur, sowie des Überganges von manuellem zu
maschinisiertem, dampfgestütztem Betrieb, also vom vorindustriellen zum
industriellen Produktionsprozess. In seiner Gesamtheit mit der
ensembleartigen Verknüpfung von Wohnen und Arbeiten über Vor- und
Hochindustrialisierungsepoche hinweg vermag der Komplex einen guten
Einblick in einen Betrieb zu geben, wie er für Viersen mit seiner
hochentwickelten, maschinisierten Textilproduktion von hoher Wichtigkeit
war. Für diese lieferte die Firma Henrichs ihre Spezialität, die für
das Zeitalter der transmissionsgetriebenen Arbeitsmaschinerie wichtigen
Riemenleder. Wenn auch außer dem originalen Dampfkessel im engeren
Sinne betriebliche Einrichtungen nicht erhalten sind, so lässt sich
doch in dem klar ablesbaren Dreischritt Wohnen, frühe, und dann auch
fabrikmäßig entwickelte, Werksarchitektur einer Anlage dieser Epochen
gut vor Augen führen, die auch bei einer gut vorstellbaren Neunutzung,
etwa im Sinne der Wohnnutzung, nichts von ihrer Aussagekraft einbüßen
würde.