Denkmale in der Stadt Viersen

Lfd. - Nr. 155

 

Standort:

Freiheitsstraße,  D 41747 Viersen

GPS:

5115' 22,3" N   06o 23' 49,1" O

Zuständigkeit:

Stadt Viersen

Baujahr:

1889

Tag der Eintragung als Denkmal

30. Juli 1987

Quellenhinweis:

Beschreibung der Denkmalbehörde

 

 

 

 

Kaiser - Krieger - Denkmal in Viersen

Denkmalbeschreibung:

Geschichte
Der Tod Kaiser Wilhelms I. am 9. März 1888 und seines Sohnes und Nachfolgers Friedrich III. nur 99 Tage später - am 15. Juni - bot überall im Deutschen Reich Anlass, noch einmal der Reichsgründung und der ihr vorausgegangenen Kriege - insbesondere des siegreichen Feldzuges gegen Frankreich von 1870/71 - zu gedenken. Daraus erwuchs vielerorts der Wunsch, durch Denkmäler die Erinnerung an diese große Zeit der "Heldenkaiser" auch bei künftigen Generationen wach zu halten.

Bereits am 26. Juni fand zu diesem Zweck in Viersen eine Bürgerversammlung statt, auf der Bürgermeister Stern zum Vorsitzenden eines geschäftsführenden Komitees gewählt wurde (1). Die Mitbürger rief man zu Spenden auf und im August begann die Sammlung. Nach deren Abschluss hatten alle Kreise der Bevölkerung - vom Arbeiter bis zum wohlhabenden Fabrikanten - dazu beigetragen, dass die für die Errichtung des Denkmals veranschlagten 14.5000 Mark aufgebracht wurden.

Aus Kostengründen musste man auf ein künstlerisches, in Metall ausgeführtes Standbild oder auf einen Laufbrunnen verzichten und stattdessen mit einem Obelisken oder einer "gotischer Säule" vorlieb nehmen. Man neigte eher letzterer zu, da sie freundlicher wirken würde als die strenge Form eines Obelisken. Ein Mitglied des Komitees empfahl das Denkmal auf dem Drachenfels als Vorbild, das 1857 nach durch das gotische Hochkreuz zwischen Bonn und Godesberg angeregten Plänen des Kölner Dombaumeisters Zwirner errichtet und 1876 wiederhergestellt worden war. Daraufhin fuhr am 28. Oktober, einem Sonntag, ein engerer Ausschuss nach Königswinter, um das Drachenfelsdenkmal in Augenschein zu nehmen.

Im Dezember erhielt Joseph Kleesattel, Architekturlehrer an der Düsseldorfer Kunstgewerbeschule und zu dieser Zeit wohl schon mit den Plänen für die 1889/91 erbaute St.-Josef-Kirche in Viersen-Rintgen befasst, den Auftrag zur Errichtung des Denkmals. Kleesattel gilt als einer der bedeutendsten Architekten des späten Historismus im Rheinland (2). Bekannt ist vor allem die im letzten Krieg zerstörte neuromanische St.-Rochus-Kirche in Düsseldorf von 1894/97, in Viersen restaurierte er zudem 1895/97 den Westturm von St. Remigius (3).

Die Grundsteinlegung fand am Kaisergeburtstag, dem 27. Januar 1889, auf einem Platz an der Lindenstraße statt, den die Erben des Freiherrn von Diergardt der Stadt zu diesem Zwecke geschenkt hatten.(4). Der Viersener Meister Jacob Cuylen richtete den aus Basaltlava und Ruhrsandsteinplatten um einen Mauerwerkkern - sicher aus Backstein - bestehenden Bau auf. Den Sockel fertigte Wilhelm Schnitzler aus Viersen; die Steinmetz- und Bildhauerarbeiten kamen aus der Kunstwerkstätte der Gebrüder Schäffer & Walter in Berlin. Die schmiedeeiserne gotisierende Einfriedung von dem Viersener Kunstschlosser Wilhelm Kox (5). Enthüllt wurde das Werk am 20. Oktober des Jahres, dem auf den Geburtstag Friedrich III. folgenden Sonntag.

Beschreibung
Das Denkmal erhob sich auf einem vierstufigen Unterbau von fast 5 Metern im Quadrat; das im Grundriss ebenfalls quadratische Monument hatte eine größte Kantenlänge von etwa 2,30 Metern; die Höhe vom Boden bis zur Spitze betrug mehr als 14 Meter. Der Aufriss über dem Unterbau war dreigeschossig: Auf einem Untergeschoss, von dem wiederum ein Sockel abgeteilt war, stand das Hauptgeschoss, um etwa ein Drittel höher als jenes; darüber folgte ein bekrönender Turm, der allein fast ebenso hoch war wie Unter- und Hauptgeschoss zusammengenommen.

Unter- und Hauptgeschoss wurden an den Kanten von jeweils zwei über Eck gestellten, beide Teile übergreifenden Strebepfeilern begleitet, die im Sockel aus der quadratischen Grundplatte erwuchsen. Die profilierten Gesimse, die die einzelnen Zonen - Sockel, Untergeschoss und Hauptgeschoss - voneinander schieden, waren um die Pfeiler herum verkröpft. Die größere Höhe des Hauptgeschosses wurde dadurch betont, dass die Strebepfeiler oberhalb des die Geschosse trennenden Gesimses über eine Schräge zurückwichen. Nach oben schlossen krabbenbesetzte Wimperge die Seiten ab. Die Flächen des Hauptgeschosses hatten von Säulchen getragene Spitzbogenblenden; die Kapitelle der Säulchen und die sie verbindenden Friese zierte Eichenlaub. In die Spitzbögen waren wiederum angespitzte Kleeblattbögen eingestellt; in den Bogenfeldern saß jeweils ein Hohenzollernadler mit Spruchband. Die über den Spitzbögen verbleibenden Zwickel füllten Dreipasse. Die begleitenden Strebepfeiler ende-ten über einem Gesims in zweifach gestuften, die Wimperge überragenden Fialen.

Der das Monument bekrönende Turm hatte nur noch die Kantenlänge der zwischen den Strebepfeilern liegenden Seiten des Hauptgeschosses. Er war wiederum dreiteilig und in seinen beiden unteren Zonen eine verkleinerte und vereinfachte Wiederholung der unteren Geschosse: Über einem dem Untergeschoss entsprechenden Sockel, der in Höhe der die Wimperge des Hauptgeschosses abschließenden Kreuzblumen endete, folgte der in der Ansicht wirksame Hauptteil, der - dem Hauptgeschoss ähnlich - in Spitzbogen eingestellte Kleeblattbogenblenden besaß und mit kreuzblumenbekrönten Wimpergen abgeschlossen war. Auch hier waren die Ecken wieder von in Fialen endenden Strebepfeiler eingefasst, der sonstigen Vereinfachung entsprechend jedoch nur einer an jeder Ecke. Ein schlanker, krabbenbesetzter und von einer Kreuzblume bekrönender Helm - ungefähr so hoch wie die beiden unteren Teile des Turmgeschosses zusammen - bildete die Spitze des gesamten Bauwerks.

Den Sinn des Denkmals vermittelten der Schmuck zwischen den Strebepfeilern liegenden Flächen von Unter- und Hauptgeschoss und die dort eingemeißelten Inschriften, deren Lettern ehemals blattvergoldet waren.

Die Westseite zeigte im Hauptgeschoss eine Bronzetafel mit dem Brustbild Wilhelms I., gerahmt von Lorbeer- und Eichenzweig, darüber die Kaiserkrone, darunter auf einem Band der Name, unten das Eiserne Kreuz im Untergeschoss stand in Stein die Inschrift: Mein Volk vertraute mit mir auf Gott! Er hat uns den Sieg verliehen!, auf dem Spruchband des Adlers im Bogenfeld: Gott mit uns. In der Ostseite war eine gleiche Bronzetafel mit dem Bild Friedrichs III. eingelassen, im Untergeschoss die Worte: Furchtlos und beharrlich! Lerne leiden ohne zu klagen!, bei dem Adler: Suum cuique.

Nord- und Südseite besaßen im Untergeschoss Steintafeln mit Eichenlaubkranz und Palme und im Hauptgeschoss steinerne Inschrifttafeln. Im Norden war geschrieben: Den in dem Feldzuge 1870-1871 gebliebenen Söhnen dieser Stadt zum Gedächtnis, und auf dem Band des darüber sitzenden Adlers: Für Kaiser und Reich, im Süden: Den Deutschen Kaisern Wilhelm I. und Friedrich III. zu Ehren errichtet 1888. und bei dem Adler: Vom Fels zum Meer.

Das Denkmal machte also in kurzer Form, aber dennoch umfassend die Geschichte des jungen Reiches anschaulich. Es ist einerseits den Toten des Krieges gewidmet, aus dem das geeignete Reich hervorging, die mithin erst dank einer nachträglichen Sinngebung für Kaiser und Reich gefallen waren (6), anderseits den beiden Kaisern, die als preußischer König, und als Heerführer ihren Anteil am Entstehen dies vom Fels zur Meer, von den Alpen bis zur See sich erstreckenden Reiches hatten. Darüber hinaus wurden beide Fürsten gesondert als Persönlichkeiten charakterisiert: Wilhelm I., der beispielsweise nach der Schlacht bei Sedan geschrieben hatte: Welch eine Wendung durch Gottes Führung oder nach der Ratifikation des Präliminarfriedens von Versailles: Der Herr der Heerscharen hat überall unsere Unternehmungen sichtlich gesegnet...Ihm sei die Ehre als gottesfürchtiger Monarch (7); Friedrich III., dessen Wahlspruch Lerne leise ohne zu klagen auch auf seine tödliche Krankheit bezogen werden darf (8), als Hoffnung des liberalen Bürgertums durch den zum preußischen Staatsmotto gewordenen Wappenspruch des Schwarzen-Adler-Ordens Suum cuique (Jedem das Seine).

Ein Vergleich mit dem Denkmal auf dem Drachenfels zeigt, dass für das Viersener Monument das System des Aufrisses übernommen wurde: die durch über Eck gestellte Strebepfeiler zusammengefassten unteren Geschosse sowie das von einfachen Strebepfeilern gestützte Turmgeschoss, schließlich auch die in Spitzbogen eingestellten Kleeblattbogen. Ein wesentlicher Unterschied ist jedoch in den Proportionen zu bemerken: Das Turmgeschoss des Drachenfelsdenkmals ist nicht nur von gleicher Breite wie das Hauptgeschoss, es ist sogar höher und wirkt dadurch gleichsam als weiteres Hauptgeschoss. Somit erscheint das Werk Zwirners bei überschlägig gleicher Höhe - etwa 15 Meter -schlanker und pfeilerartiger. Kleesattels Entwurf kann freilich auch nicht als eine Rückführung auf das für Zwirner vorbildhafte Godesberger Hochkreuz gelten, das ein gegenüber dem Hauptgeschoss freilich nur um weniges geringer dimensioniertes Turmgeschoss besitzt; denn in Viersen ist das Hauptgeschoss mit den Widmungsinschriften und den Kaiserbildern weit stärker betont. So treten hier eher die von der Architektur gerahmten und beherbergten Inhalte als Hauptsache und Zweck hervor, während beim Godesberger Kreuz und noch mehr am Drachenfels die pfeilerartige Architektur selbst und damit der "Malcharakter" überwiegt.

Das Viersener Kaiser-Krieger-Denkmal lässt sich ohne weiteres der damaligen Zeit vom Denkmal einordnen, wenn auch im ersten Augenblick die gotische Form nicht der populären Vorstellung von einem Denkmal dieser Epoche entspricht. Hier möge nur ein 1880 von J. Otzen in Thorn errichtetes Denkmal und das in die niederbergische Landschaft hineinkomponierte, 1890 eingeweihte Kaiser-Wilhelm-Denkmal in Wülfrath-Aprath erwähnt werden (9). Das Viersener Denkmal erhält seine besondere Bedeutung jedoch durch die Tatsache, dass es das Werk eines Architekten war, der sich späterhin mit wichtigen Kir-chenbauten einen Namen machte.

Die statt des gleichfalls zur Diskussion gestellten Obelisken letztendlich verwendete gotische Form lässt sich jedoch nicht allein aus dem freundlicheren Aussehen, dem historistischen der Zeit oder aus der Tatsache, dass Kleesattel gerade mit einer Kirchenplanung in Viersen beschäftigt war, erklären. Schon an dem 1814 errichteten Vorläufer des Zwirnerschen Drachenfelsdenkmals, einem von Vagedes errichteten Obelisken, hatte Görres kritisiert, dass er an französische Sitte erinnere. Die Gotik dagegen galt hierzulande seit Goethes Schrift "Von deutscher Baukunst" als eigentümlich deutsche Schöpfung. Es konnte also geradezu geboten scheinen, diesen Stil für ein an die Wiedererrichtung des Reiches erinnerndes Denkmal zu verwenden (10). Auch dass der Sieg über Frankreich und die Reichsgründung immer wieder als Ergebnis göttlichen Willens und Wirkens dargestellt wurden, mag - vielleicht im Unterbewusstsein und daher aktenmäßig nicht belegt - die Entscheidung zugunsten der im wesentlichen als Sakralbaustil überlieferten Gotik beeinflusst haben.

Dieser sakrale Sinngehalt konnte in einer vom Katholizismus geprägten Stadt wie Viersen aber auch als Gegengewicht zur Ehrung der protestantisch-weltlichen preußischen Herrscher begriffen werden (11). Dass ein Gedanke in dieser Richtung mitschwang, ist der in die Denkmalspitze eingelassenen Urkunde zu entnehmen, in der die das Monument bekrönende Kreuzblume ausdrücklich als Sinnbild der Erlösung bezeichnet wurde (12). Im Gegensatz dazu zierte die Spitze des Drachenfelsdenkmals auf Wunsch Friedrich Wilhelms IV. ein eisernes Kreuz.

Die Hoffnung der Erbauer, das Denkmal möge einer in Frieden und Eintracht glücklichen Nachwelt unversehrt erhalten bleiben (13), erfüllte sich nicht. Zwei weitere Kriege zerstörten das Deutsche Reich wieder; das Denkmal einst als Verschönerung der Stadt angesehen - wurde ein Opfer nüchternen Zweckdenkens und musste 1962 einer Straßenerweiterung weichen. Bis auf die Bronzeplatten sind jedoch die einzelnen Teile der Architektur soweit erhalten oder zu ergänzen, das eine Wiedererrichtung möglich wäre. Damit erhielte Viersen nicht nur ein Denkmal seiner eigenen Geschichte zurück, auch der bedeutenden historistischen Architektur des Rheinlandes wäre ein bemerkenswertes Dokument wiedergegeben.